Medikamentöse STI-Prävention

Schutz für Menschen mit erhöhtem Risiko sollte bekannter werden
Die HIV-Präexpositionsprophylaxe, kurz PrEP, ist eine etablierte und bei korrekter Einnahme sehr effektive Methode zur Verhinderung von HIV-Infektionen. Sie richtet sich an Personen mit einem erhöhten Risiko für HIV. Zu diesen gehören u.a. Menschen, die kondomlosen Sex mit Personen haben, bei denen die Wahrscheinlichkeit für eine undiagnostizierte HIV-Infektion epidemiologisch erhöht ist.1 Die Mehrheit der PrEP-Anwendenden in Deutschland sind Männer, die Sex mit Männern haben (MSM), und die angeben, Sex ohne Kondom mit wechselnden Partnern zu haben.
Bei der PrEP kommen Medikament (in der Regel Tenofovir/Emtricitabin) aus der HIV-Behandlung zum Einsatz, die, präventiv eingenommen, die Etablierung einer HIV-Infektion verhindern können. Die PrEP kann in Form einer kontinuierlichen täglichen Einnahme oder bedarfsweise (on demand) nach einem bestimmten Schema (off-label) erfolgen.2 Personen, die PrEP einnehmen, sollten regelmäßig ärztlich kontrolliert werden; dies umfasst HIV- und Syphilistests sowie Untersuchungen der Nierenfunktion und anderer STIs.1 Die Verschreibung der PrEP erfolgt in Deutschland vorrangig in Praxen mit HIV-Schwerpunkt. Unter spezifischen Bedingungen können auch Dermatologinnen und Dermatologen eine Genehmigung zur Abrechnung PrEP-bezogener Leistungen beantragen.
Insgesamt spielt die PrEP bei Menschen mit einem erhöhten Risiko eine entscheidende Rolle im Schutz vor HIV-Infektionen. Aktuelle Daten aus Deutschland weisen darüber hinaus nicht darauf hin, dass PrEP-Nutzer nach Beginn der Einnahme einen substanziellen Anstieg der Inzidenz von STIs hätten.3 Für Deutschland zeigt sich jedoch zum gegenwärtigen Zeitpunkt eine erhebliche Lücke zwischen der Indikation zur Nutzung und der relativ geringen tatsächlichen Inanspruchnahme der PrEP.4 Darüber hinaus bestehen erhebliche regionale Disparitäten.4 Da die PrEP ein wichtiger Baustein der Strategie im Kampf gegen HIV ist, ist es von Bedeutung, dass auch Dermatologinnen und Dermatologen, die PrEP selber nicht verordnen, Patientinnen und Patienten mit einer Indikation zur PrEP-Einnahme proaktiv über diese präventive Maßnahme informieren. Beratungsanlässe können unter anderem die Diagnose einer STI, der Verzicht auf Kondome oder die Tätigkeit in der Sexarbeit sein.1 Die Leitlinie zur HIV-PrEP aus dem Jahr 2018 wird derzeit aktualisiert und ist in Kürze auf den Seiten der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) verfügbar.
Ein weiteres medikamentöses Präventionsverfahren ist die sogenannte Doxycyclin-Postexpositionsprophylaxe, kurz Doxy-PEP. Dabei wird innerhalb eines Zeitfensters von 24 (maximal 72) Stunden nach einer möglichen Exposition einmalig Doxycyclin 200mg p.o. eingenommen.5-7 Es ist wichtig, zwischen den Begriffen PrEP (wie oben erläutert) und Doxy-PEP zu unterscheiden – bei der PrEP handelt es sich um ein etabliertes und für einen spezifischen Personenkreis empfohlenes Verfahren zum Schutz vor HIV-Infektion, während es sich bei der Doxy-PEP um ein noch wenig standardisiertes und etabliertes Verfahren zum Schutz vor Syphilis- und Chlamydieninfektionen handelt. Darüber hinaus ist die Abgrenzung der Doxy-PEP von der in der Syphilisleitlinie empfohlenen epidemiologischen Partnerinnen- und Partnerbehandlung nach Kontakt mit einer diagnostisch bestätigten Syphilis abzugrenzen: Doxy-PEP meint die vorbeugende Anwendung von Doxycyclin bei Menschen mit hohem Expositionsrisiko gegenüber Treponema pallidum und Chlamydia trachomatis.
Die individuelle Wirksamkeit der antibiotischen STI-Prophylaxe mit Doxycyclin zur Senkung des Risikos für Syphilis- und Chlamydieninfektionen wurde in mehreren randomisierten kontrollierten Studien bei MSM und trans Frauen eindrücklich belegt.5-7 So liegt etwa die Reduktion der Inzidenz von Syphilis und Chlamydieninfektionen bei über 70%.5-7 Dennoch sind einige Aspekte, wie beispielsweise die möglichen Auswirkungen einer weitreichenden Implementierung der präventiven Einnahme von Doxycyclin auf Tetrazyklin-Resistenzen bakterieller STIs und anderer bakterieller Pathogene sowie auf das Mikrobiom noch weitgehend ungeklärt. Vor dem Hintergrund der seit etwa 20 Jahren steigenden Syphilisinzidenz in Deutschland, insbesondere unter MSM, wächst das Interesse an der Doxy-PEP ebenso wie die verfügbare Studienlage. Die Deutsche STI-Gesellschaft (DSTIG) hat eine Stellungnahme erarbeitet, die konkrete Empfehlungen zu potenziellen Indikationen, Kriterien und Anlässen für den Einsatz von Doxycyclin zur STI-Prävention beinhaltet.
Autor:
Priv.-Doz. Dr. med. Ricardo Niklas Werner, Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie, Charité Berlin und Leiter der Sektion Leitlinienarbeit der Deutschen STI-Gesellschaft (DSTIG), ricardo.werner(at)charite.de
Literatur:
1. Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF). Deutsch-Österreichische Leitlinien zur HIV-Präexpositionsprophylaxe (PrEP). Accessed 28.09.2023, https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/055-008
2. Molina JM, Capitant C, Spire B, et al. On-Demand Preexposure Prophylaxis in Men at High Risk for HIV-1 Infection. N Engl J Med. Dec 3 2015;373(23):2237-46. doi:10.1056/NEJMoa1506273
3. Schmidt D, Kollan C, Schewe K, et al. [Evaluating the introduction of HIV pre-exposure prophylaxis as a benefit of statutory health insurance (EvE-PrEP) : Highly effective protection against HIV without an increase in sexually transmitted infections]. Bundesgesundheitsblatt Gesundheitsforschung Gesundheitsschutz. Sep 2023;66(9):1008-1018. Evaluation der Einführung der HIV-Präexpositionsprophylaxe als Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung (EvE‑PrEP) : Hocheffektiver Schutz vor HIV und keine Zunahme von sexuell übertragbaren Infektionen. doi:10.1007/s00103-023-03733-0
4. Marcus U, Schmidt D, Schink SB, Koppe U. Analysis of HIV pre-exposure prophylaxis (PrEP) needs and PrEP use in Germany among men who have sex with men. Z Gesundh Wiss. Mar 4 2022:1-17. doi:10.1007/s10389-022-01699-y
5. Luetkemeyer AF, Donnell D, Dombrowski JC, et al. Postexposure Doxycycline to Prevent Bacterial Sexually Transmitted Infections. N Engl J Med. Apr 6 2023;388(14):1296-1306. doi:10.1056/NEJMoa2211934
6. Molina JM, Charreau I, Chidiac C, et al. Post-exposure prophylaxis with doxycycline to prevent sexually transmitted infections in men who have sex with men: an open-label randomised substudy of the ANRS IPERGAY trial. Lancet Infect Dis. Mar 2018;18(3):308-317. doi:10.1016/s1473-3099(17)30725-9
7. Molina JM, Berçot B, Assoumou L, et al. ANRS 174 DOXYVAC: an open-label randomized trial to prevent STIs in MSM on PrEP. 30th CROI, Conference on Retroviruses and Opportunistic Infections. Accessed 28.03.2023, https://www.croiconference.org/abstract/anrs-174-doxyvac-an-open-label-randomized-trial-to-prevent-stis-in-msm-on-prep/