
Positionspapier der DGDC: Positivliste für dermatochirurgische Tätigkeiten
Ein Gespräch mit Dr. med. Sonja Dengler und Dr. med. Katrin Kofler
Die Dermatologie wird immer weiblicher. Der Anteil weiblicher Medizinstudierender und Ärztinnen steigt seit Jahren. Mit über 60% Dermatologinnen und 70% Weiterbildungsassistentinnen ist die Dermatologie hinsichtlich des Frauenanteils auf den „vorderen Plätzen“ in der Ärzteschaft. Damit rücken frauenspezifische Themen im Kontext von Beschäftigung und Arbeitsschutz noch mehr in den Fokus. Schwangere Frauen werden durch das 2018 novellierte Mutterschutzgesetz (MuSchG) vor möglichen Gefahren und Gesundheitsschäden während der Schwangerschaft und der Stillzeit geschützt. Das betrifft den Schutz des Arbeitsplatzes (generelles Kündigungsverbot vom Beginn der Schwangerschaft an bis zum Ende des Mutterschutzes) und vor Einkommenseinbußen während der Beschäftigungsverbote durch finanzielle Leistungen.
Noch immer kommt es insbesondere an Kliniken, an denen Schwangere aus den operierenden Fächern tätig
sind, mit der Mitteilung der Schwangerschaft automatisch zu einem Beschäftigungsverbot. Und das, obwohl es ein genaues Prozedere und mittlerweile einige sogenannte Positivlisten gibt, um eine Weiterbeschäftigung zu ermöglichen.
Dr. med. Sonja Dengler und Dr. med. Katrin Kofler, Autorinnen des Positionspapiers der Deutschen Gesellschaft für Dermatochirurgie (DGDC), erläutern im Interview die rechtlichen Grundlagen und zeigen Möglichkeiten für eine Weiterbeschäftigung mittels Positivlisten auf.
Frage: Ist das Mutterschutzgesetz (MuSchG) ein Fluch oder ein Segen?
Kofler: Das Mutterschutzgesetz ist zweifellos ein Segen – sowohl für werdende und frischgebackene Mütter als auch für die Gesellschaft insgesamt. Dennoch bringt es, wie jedes umfassende Schutzgesetz, gewisse Herausforderungen mit sich, die insbesondere für Arbeitgeber als „Fluch“ wahrgenommen werden könnten.
Das zentrale Ziel des MuSchG ist der Schutz der Gesundheit von Mutter und Kind während der Schwangerschaft, nach der Geburt und während der Stillzeit. Es ist aber auch ein gesellschaftspolitisches Instrument. Es signalisiert, dass die Gesellschaft die Verantwortung für Mütter mitträgt und Familienförderung ernst nimmt. Indirekt fördert es die Akzeptanz von Schwangerschaft und Mutterschaft in der Arbeitswelt, was langfristig zu einer besseren Integration von Frauen in den Arbeitsmarkt führt.
Für Arbeitgeber können die Regelungen des MuSchG mit organisatorischen und finanziellen Belastungen einhergehen. Auch die Anpassung von Arbeitsplätzen an mutterschutzgerechte Bedingungen zum Beispiel in Fächern wie der Dermatologie mit erheblicher chirurgischer Komponente, kann zusätzliche Kosten verursachen und Umstrukturierungen im Arbeitsablauf notwendig machen.
Für mich ist das Mutterschutzgesetz aber ein unverzichtbarer Baustein für den Schutz von Gesundheit, Familie und Gleichstellung. Die Herausforderungen, die es mit sich bringt, liegen weniger im Gesetz selbst, als in der praktischen Umsetzung und den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. Um den „Fluch“-Aspekt zu minimieren, sind unterstützende Maßnahmen erforderlich, wie zum Beispiel bessere Informationsangebote für Arbeitgeber und eine konsequente Förderung der Gleichstellung. Wichtig finde ich zu betonen, dass nicht nur die Interessen von Müttern und Kindern geschützt werden, sondern das Mutterschutzgesetz auch langfristig zu einer gerechteren und familienfreundlicheren Arbeitswelt beiträgt.
Frage: Wie sehen die rechtlichen Grundlagen aus?
Dengler: Der Zeitpunkt der Meldung der Schwangerschaft an ihren Arbeitgeber obliegt der Schwangeren, allerdings tritt der gesetzliche Schutz der Schwangeren und des Kindes durch das MuSchG erst ab Zeitpunkt der Meldung in Kraft. Hierbei gelten die rechtlichen Vorgaben nicht nur für Ärztinnen in Weiterbildung oder fachärztlicher Tätigkeit, sondern auch für Studierende, also auch Famulantinnen und Studentinnen im Praktischen Jahr (PJ-lerinnen). Neben genauer Regelung der Arbeits- und Ruhezeiten ist die Erstellung einer anlassbezogenen individuellen Gefährdungsbeurteilung durch die Schwangere und den Arbeitgeber nach § 10 verpflichtend. Hierin wird nach einem festgelegten 3-Stufenplan (vgl. § 13 MuSchG) zunächst eine Weiterbeschäftigung am bisherigen Arbeitsplatz angestrebt unter Einhaltung ergänzender Schutzmaßnahmen. Ist dies am bisherigen Arbeitsplatz nicht möglich, erfolgt die Umsetzung an einen geeigneten Arbeitsplatz, der diese Rahmenbedingungen erfüllt. Erst bei Ausschöpfung dieser beiden Schritte ist die Indikation zum betrieblichen Beschäftigungsverbot nach §16 MuSchG gegeben. Der Arbeitgeber ist nach § 27 MuSchG verpflichtet, die gemeldete Schwangerschaft sowie den erwarteten Entbindungstermin der zuständigen Aufsichtsbehörde zu melden. Diese kann die anlassbezogene Gefährdungsbeurteilung einfordern und im Einzelfall den vereinbarten Rahmenbedingungen widersprechen, geänderte Rahmenbedingungen festlegen und ggf. auch ein Beschäftigungsverbot verhängen. Im Rahmen der individuell erstellten Gefährdungsbeurteilung kann die operative Weiterarbeit unter Einhaltung erweiterter Schutzmaßnahmen und unter Bezugnahme auf Positivlisten operativer Eingriffe erfolgen. Voraussetzung ist, dass die Arbeitnehmerin dies freiwillig und selbstbestimmt tut und die vereinbarten Schutzmaßnahmen einhält.
Frage: Warum sollten sich Arbeitgeber – vor allem in den chirurgischen Fächern – mit dem Thema der Weiterbeschäftigung von schwangeren Ärztinnen befassen?
Kofler: Die Weiterbeschäftigung schwangerer Ärztinnen, insbesondere in den chirurgischen Fächern, ist ein vielschichtiges Thema, das medizinische, rechtliche, ethische und praktische Dimensionen umfasst. Arbeitgeber sollten sich intensiv damit auseinandersetzen, da dies nicht nur arbeitsrechtliche Anforderungen erfüllt, sondern auch langfristige Vorteile für die Klinik, die Mitarbeitenden und die Patientenversorgung mit sich bringt. Die Medizin und hier in erheblichem Umfang auch chirurgische (Teil)-Gebiete sind inzwischen auch von Fachkräftemangel betroffen. Die Mehrheit der Ärzteschaft ist weiblich, mit weiter steigender Tendenz. Schwangere Ärztinnen vollständig von der Arbeit auszuschließen, kann zu Personalengpässen führen und den Druck auf das verbleibende Team erhöhen. Gleichzeitig riskieren Arbeitgeber, talentierte Mitarbeiterinnen langfristig zu verlieren, wenn die Schwangerschaft als Hindernis für ihre Karriere wahrgenommen wird. Eine gut durchdachte Weiterbeschäftigung signalisiert hingegen Interesse an nachhaltiger Personalstrategie und fördert die Vereinbarkeit von Beruf und Familie.
Ein häufiges Missverständnis ist, dass schwangere Ärztinnen in chirurgischen Fächern grundsätzlich nicht mehr tätig sein können. Viele Aufgaben können jedoch weiterhin wahrgenommen werden, wenn Arbeitsbedingungen entsprechend angepasst werden. Darauf hinzuweisen, war uns bei der Erstellung des Positionspapiers besonders wichtig.
Die Weiterbeschäftigung schwangerer Ärztinnen in chirurgischen Fächern ist eine Herausforderung, die aber mit angemessener Planung und Flexibilität lösbar ist. Damit leisten die Arbeitgeber einen wichtigen Beitrag zur Weiterentwicklung dieser Fächer als zukunftsfähige Fachgebiete.
Frage: Inwieweit hilft die Positivliste allen Beteiligten?
Dengler: Die Positivliste hilft bei der praktischen Überführung der gesetzlichen Vorgaben nach MuSchG in den dermatologischen Alltag. Sie stellt den fachlichen Rahmen dar und unterstützt Arbeitgeber und Beschäftigte bei der individuellen Festlegung dermatochirurgischer Tätigkeiten in der Schwangerschaft im Kontext der anlassbezogenen Gefährdungsbeurteilung. Die konkrete Aufführung dermatochirurgischer Eingriffe soll Unsicherheiten auf Seiten der schwangeren Operateurinnen sowie der Arbeitgeber ausräumen und Benachteiligungen durch Schwangerschaft und Stillzeit vermeiden. Uns ist es als Autorinnen an dieser Stelle wichtig zu betonen, dass die in der Liste aufgeführten Tätigkeiten natürlich nur dann eine „verantwortbare“ Gefährdung für die Schwangere und das ungeborene Kind darstellen, wenn die dargelegten Schutzmaßnahmen eingehalten werden. Grundvoraussetzung hierfür ist immer der freiwillige und selbstbestimmte Wunsch der schwangeren Ärztin, weiter operativ tätig zu sein.
Frage: Wie ist die Positivliste der DGDC zustande gekommen?
Kofler: Sonja Dengler und ich haben als Mitglieder der Task Force des DGDC-Vorstandes zunächst eine umfangreiche Literaturrecherche unter Einbeziehung rechtlicher und hygienischer Grundlagen durchgeführt und diese dann auf typisch dermatochirurgische Eingriffe übertragen und gewichtet. Im Vordergrund stand für uns dabei stets die Sicherheit von schwangeren oder stillenden Kolleginnen. Am Ende zeigt sich ein sehr differenziertes Bild, wie ich finde, und vor allem konnten wir eine auf guter Evidenz basierte Liste mit einer erheblichen Anzahl an in der Realität gut umsetzbaren Eingriffen erstellen.
Frage: Was kann eine schwangere Dermatologin unternehmen, wenn sie den Eindruck hat, die Arbeitgeberseite ist trotz einer anlassbezogenen Gefährdungsbeurteilung eher auf dem Weg, ein Beschäftigungsverbot auszusprechen? Wo gibt es Unterstützung?
Dengler: Zum einen sollen hier das Positionspapier und die Positivliste der DGDC eine sachliche und fachlich fundierte Unterstützung insbesondere zur Beseitigung von Unsicherheiten auf Seiten der Schwangeren, aber auch auf Seite des Arbeitgebers geben. Zum anderen verweist § 13 des MuSchG juristisch klar auf die 3-schrittige Vorgehensweise des beruflichen Einsatzes der Schwangeren am Arbeitsplatz, so dass ein betriebliches Beschäftigungsverbot erst nach Ausschöpfung aller Maßnahmen (ergänzende Schutzmaßnahmen, Wechsel des Arbeitsplatzes) durch den Arbeitgeber erteilt werden darf. Ergänzende detaillierte Informationen sind im Positionspapier der DGDC „Dermatochirurgische Tätigkeiten in Schwangerschaft und Stillzeit“ und unter www.opids.de hinterlegt.
Frage: Welche weiteren arbeitsspezifischen Rahmenbedingungen für Ärztinnen gibt es aus Ihrer Sicht, die verändert werden sollten, um die „weibliche dermatologische Kompetenz“ nicht nur zu erhalten, sondern zu stärken?
Kofler: Ich denke, dass es vor allem arbeitsspezifische Rahmenbedingungen sind, an denen eine Stärkung möglich und auch erforderlich ist: Diese betreffen sowohl die Vereinbarkeit von Beruf und Familie als auch die berufliche Weiterentwicklung und Chancengleichheit. Die Dermatologie ist ein Fach, das sowohl in Kliniken als auch in der Niederlassung stark von planbaren Arbeitszeiten geprägt sein kann. Dennoch besteht in vielen dermatologischen Arbeitsbereichen, insbesondere in Kliniken, die Notwendigkeit, noch weiter flexiblere Arbeitszeitmodelle zu entwickeln. Die Implementierung von Teilzeitmodellen auf allen Karrierestufen wäre zum Beispiel eine sinnvolle Maßnahme. Es sollte möglich sein, Führungs- und Weiterbildungspositionen auch in Teilzeit zu bekleiden, ohne dass dies die Karrierechancen mindert. Außerdem müssen aus meiner Sicht Möglichkeiten geschaffen und ausgebaut werden, um Leitungsaufgaben auf mehrere Personen zu verteilen, was den Einstieg von Ärztinnen in Führungspositionen erleichtert. Ein entscheidender Faktor für die Berufstätigkeit von Ärztinnen ist die Verfügbarkeit von flexiblen und qualitativ hochwertigen Betreuungsangeboten für Kinder.
Dengler: Sicher spielt der Ausbau einer verlässlichen und bedarfsorientierten Kinderbetreuung eine herausragende Rolle. Neben der Förderung der gesellschaftlichen Akzeptanz berufstätiger Frauen, die im Vergleich zu anderen Ländern in Deutschland immer noch unterrepräsentiert ist, müssen bundesweit flächendeckend Betreuungsangebote geschaffen werden. Auch die Betreuung von Kindern im Rahmen von Kongressen wie es beispielsweise bei der Jahrestagung der DDG der Fall ist, hilft Frauen, ihre berufliche Tätigkeit in Vereinbarkeit mit der Familie weiter auszuüben.
Vielen Dank für das Gespräch
Weitere Informationen:
Zum Download der Broschüre: Operative Tätigkeiten in Schwangerschaft und Stillzeit.
Operieren während der Schwangerschaft 2024: Positivliste Dermatologie
DGDC-Positionspapier: Dermatochirurgische Tätigkeiten in Schwangerschaft und Stillzeit
Beratungsangebot: Initiative Operieren in der Schwangerschaft
Zu den Personen:
Dr. med. Sonja Dengler ist Oberärztin, ärztliche Leitung Haut-OP und operative Koordinatorin Hauttumorzentrum an der Hautklinik am Klinikum Dortmund.
E-Mail: Sonja.Dengler@klinikumdo.de
Dr. med. Katrin Kofler ist Ärztliche Leiterin des MVZ Hautzentrums am Holzmarkt in Biberach/Riß sowie wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universitätshautklinik Tübingen
E-Mail: k.kofler@hautzentrum-holzmarkt.de
DGDC-Positionspapier: Dermatochirurgische Tätigkeiten in Schwangerschaft und Stillzeit
Zum Download der Broschüre: Operative Tätigkeiten in Schwangerschaft und Stillzeit.
Operieren während der Schwangerschaft 2024: Positivliste Dermatologie