STI-Diagnostik im Zentrum: Wen wann womit testen? Was übernimmt die GKV?

Partner und Partnerinnen benachrichtigen, testen und ggf. therapieren
Interview mit Dr. med. Anja Potthoff (AP), Bochum
Steigende Zahlen sexuell übertragbarer Infektionen (STI) führen immer mehr Patientinnen und Patienten in die Sprechstunden. Die STI-Diagnostik ist komplex und mitunter herausfordernd. Nach welchen Kriterien die Dermatologin/der Dermatologe entscheiden sollte, welche Patientin/welcher Patient auf welchen Erreger und mit welchen Testmethoden untersucht wird, wie Sexualpartnerinnen und -partner bereits in den diagnostischen Prozess eingebunden werden sollten und welche Rahmenbedingungen die gesetzlichen Krankenkassen setzen, erläutert Dr. med. Anja Potthoff (WIR – Walk in Ruhr, Zentrum für Sexuelle Gesundheit und Medizin, Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie der Ruhr-Universität Bochum) im Interview.
Frage: Frau Dr. Potthoff, Hautausschläge oder Geschwüre (Ulzera) im Genital- oder Analbereich können unterschiedliche Ursachen haben. Was sind die ersten Abklärungsschritte, um festzustellen, dass es sich um eine STI handelt?
AP: Der erste Schritt ist die (Sexual-)Anamnese: Wann traten die Veränderungen auf? Gab es Sex mit neuen Partnern oder Partnerinnen. Wurde ein Kondom verwendet. Welche anatomische Region war beim Sex involviert. Welche weiteren Symptome z. B. Ausfluss, Dysurie, Dyspareunie bestehen?
Frage: Nach welchen Kriterien wählen Sie die Testmethode aus, wenn es sich um symptomatische Personen mit Hautausschlag oder Ulzera handelt?
AP: Blutuntersuchungen sind bei Hautausschlag und v.a. Syphilis im Stadium II oder III indiziert. Insbesondere bei Indikatorerkrankungen wie Herpes zoster, seborrhoischem Ekzem sollte auch an einen HIV-Test gedacht werden. Bei Ulzera ist die Multiplex PCR hilfreich. Hier können mittels läsionalem Abstrich Herpes simplex, Herpes zoster, Syphilis Primäraffekte, Lymphogranuloma venereum (LGV) und seltene Erreger wie Hämophilus ducreyi ausgeschlossen werden. Aus läsionalem Abstrichmaterial kann auch auf Mpox getestet werden.
Frage: Was sind die gängigen Testmethoden bei den häufigen STI-Erregern wie Neisseria gonorrhoeae, Chlamydia trachomatis, Mycoplasma genitalium und Trichomonas vaginalis?
AP: Alle vier Erreger können mittels NAAT (nucleic acid amplification technique) aus Abstrichmaterial (oral, vaginal, anal) oder Erststrahlurin diagnostiziert werden.
Frage: Welche Untersuchungen werden regelhaft von den gesetzlichen Krankenkassen bezahlt? In welchen Fällen lohnt es sich, ggf. bei der jeweiligen Krankenkasse nachzufragen?
AP: Bei symptomatischen Patienten können ein Syphilissuchtest und bis zu fünf Erreger per NAAT angefordert werden. Bei nachgewiesener Chlamydieninfektion kann es sinnvoll sein zusätzlich auf Serovare L1-3 zu testen, um ein LGV auszuschließen. Auch die Kostenübernahme der Mycoplasma genitalium Resistenztestung sollte man ggf. bei der Krankenkasse oder dem Labor anfragen. Zusätzlich ist ein HIV- und Syphilistest bei jedem Patienten mit nachgewiesenen STI (auch z. B. Condylomen) indiziert und wird von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen, ohne das Budget zu belasten. Wenn bei Sexualpartnern eine STI nachgewiesen wurde, kann ebenfalls auf Krankenkassenkosten getestet werden.
Frage: Jeder Mensch mit einer STI steckt möglicherweise seine/ihre Sexualpartner:innen an. Wie kann diese Problematik in den diagnostischen Prozess integriert werden?
AP: Eine Partner:innen-Benachrichtigung, -testung und ggf. -therapie wird empfohlen. Hier können Online-Tools wie sie das WIR entwickelt hat (https://www.wir-ruhr.de/partner-notification/) hilfreich sein, um Sexualpartner:innen anonym informieren zu können.
Frage: Point-of-Care-Tests (PoCT) ermöglichen eine schnelle Diagnostik von sexuell übertragbaren Infektionen (STI). Wie sinnvoll, leistungsfähig und genau sind Schnelltest für HIV, HCV und T. pallidum für den Einsatz in niedrigschwelligen Beratungssettings? Welche Möglichkeiten bieten solche Tests – auch als Heimtests mit Eigenentnahme der Probe – Betroffenen und/oder ihren Partner:innen?
AP: Die Bandbreite der PoCT ist sehr groß und je nach Erreger ist die Qualität unterschiedlich gut. Während PCR basierte Test meist sehr gut funktionieren, sind viele Antikörper-basierte Schnellteste (mit Ausnahme des HIV-Testes) im Alltag oft nicht gut einsetzbar. Bei Syphilis und Hepatitis C kann z. B. nicht zwischen einer alten ausgeheilten und einer frischen Infektion unterschieden werden. Heimtests können das bisherige Testangebot sinnvoll erweitern. Auch hier sind die Qualität und die Möglichkeit einer zusätzlichen Online-Beratung sehr unterschiedlich. Bisher werden die Kosten von PoCT und Heimtests in der Regel nicht übernommen.
Frage: Wo finden interessierte Kolleginnen und Kollegen weitere Infos zum Thema STI-Diagnostik und Tests?
AP: Der Leitfaden STI-Therapie, -Diagnostik und -Prävention [Link einfügen: https://www.dstig.de/DSTIG-Leitfaden_Auflage_04_2023-2024.pdf] der Deutschen STI-Gesellschaft steht mittlerweile auch als App zur Verfügung und wird laufend an die neusten Entwicklungen und internationalen Leitlinien angepasst. Das erste Modul des Curriculums Sexualmedizin der Ärztekammer Westfalen Lippe kann online gebucht werden und richtet sich nicht nur an alle Ärztinnen und Ärzte, sondern kann auch von Psychotherapeutinnen und -therapeuten oder Pflegekräften genutzt werden.
Vielen Dank für das Interview!
Zur Person:
Dr. med. Anja Potthoff ist Leitende Abteilungsärztin am WIR – Walk in Ruhr, Zentrum für Sexuelle Gesundheit und Medizin, Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie der Ruhr-Universität Bochum und Schatzmeisterin der DSTIG. Sie war an der Erstellung zahlreichen Leitlinien u.a. Syphilis, Analkarzinomvorsorge bei HIV und HIV-Präexpositionsprophylaxe beteiligt. Forschungsschwerpunkte sind u.a. HPV-assoziierte Erkrankungen, die Prävention von STI und HIV-assoziierte Erkrankungen.