
Die Ukraine-Initiative der DDG: Ukrainische Dermatologinnen hospitieren an deutschen Hautkliniken
Interview mit Anna Nykyforova und Prof. Silke Hofmann
„Der hohe organisatorische Aufwand sollte Klinikleiterinnen und -Leiter nicht davon abhalten, ausländischen jungen Kolleginnen und Kollegen diese Erfahrung zu ermöglichen.“
Prof. Silke Hofmann
„Ich habe hier dermatologische Erkrankungen gesehen, die ich nur aus Büchern kannte.“
Anna Nykyforova
Der russische Überfall auf die Ukraine am 24. Februar 2022 zwang Hundertausende Menschen, ihre Heimat zu verlassen. Darunter auch die Dermatologin Anna Nykyforova aus Kiew, die es nach Wuppertal verschlug. Ende März startete die Deutsche Dermatologische Gesellschaft (DDG) eine Initiative, um ukrainischen Dermatologinnen und Dermatologen Hospitationen zu vermitteln. Anna Nykyforova meldete sich auf den Aufruf und Prof. Dr. med. Silke Hofmann, Direktorin des Zentrums für Dermatologie, Allergologie und Dermatochirurgie des Helios Universitätsklinikums Wuppertal, war bereit, sie als Hospitantin aufzunehmen. Von Mitte Mai bis Mitte Juli hospitierte Frau Nykyforova an der Wuppertaler Klinik. Im Gespräch berichten die beiden Medizinerinnen von ihren Erfahrungen.
Frage: Frau Prof. Hofmann, warum sind Hospitationen für Dermatologinnen und Dermatologen aus anderen Ländern so wichtig?
Prof. Silke Hofmann (SH): Hospitationen ermöglichen den Gastärztinnen und -Ärzten eine Vertiefung ihrer Sprachkenntnisse, ein Kennenlernen des deutschen Gesundheitssystems im Allgemeinen, aber natürlich auch der Besonderheiten eines spezifischen Faches. Sicherlich tragen auch die persönlichen Kontakte mit den deutschen Kolleginnen und Kollegen, die Integration in ein Klinikteam wesentlich zum Lernerfolg und letztendlich auch zur Völkerverständigung bei.
Frage: Frau Nykyforova, wie haben Sie den Start Ihrer Hospitation erlebt? Welche Eindrücke hatten Sie in den ersten Wochen?
Anna Nykyforova (AN): Ich war am Anfang sehr nervös und wusste nicht, was mich erwartet und was von mir erwartet wird. Das ganze Team war sehr hilfsbereit und ich fühlte mich schnell integriert.
Frage: Wie lief ein typischer Arbeitstag für Sie ab?
AN: Er begann mit einer Frühbesprechung mit allen Ärztinnen und Ärzten der Hautklinik. Danach nahm ich an der Visite teil und war später auch bei Neuaufnahmen von Patienten, in der Ambulanz oder im OP dabei. Mittags gab es eine erneute Besprechung mit Patientenvorstellung. Freie Zeit nutzte ich zum Literaturstudium in der Bibliothek der Klinik.
Frage: Gab es neben Vertrautem im medizinischen Alltag auch Dinge, die in ihrer ukrainischen Heimat anders gehandhabt werden?
AN: Die Dermatologie ist in der Ukraine weniger breit aufgestellt. Beispielsweise werden weniger Probebiopsien durchgeführt, weil sie nicht in der Klinikambulanz selbst befundet werden und relativ hohe Kosten verursachen. Auch führen ukrainische Dermatologinnen und Dermatologen keine Operationen wie z.B. Naevusexzisionen oder Akne inversa-Operationen eigenständig durch. Dies übernehmen auf Dermatochirurgie spezialisierte Kolleginnen und Kollegen.
Frage: Was sind aus Ihrer Sicht die größten Herausforderungen?
AN: Eindeutig die Tatsache, dass ich kein Deutsch spreche. Wenn man als Ärztin oder Arzt in Deutschland arbeiten möchte, muss man gute Deutschkenntnisse haben und eine Fachsprachprüfung bei der Ärztekammer ablegen.
Frage: Frau Prof. Hofmann, wie würden Sie den Aufwand für die Klinik beschreiben, um eine Hospitation möglich zu machen?
SH: Der Aufwand besteht zunächst darin, Zeugnisse zu prüfen, die Qualifikation sicherzustellen, den geplanten Einsatz mit der Personalabteilung abzustimmen und natürlich im Vorfeld alle Fragen mit den an einer Hospitation interessierten Kolleginnen und Kollegen zu klären.
Der organisatorische Aufwand sollte Klinikleiterinnen und -Leiter nicht davon abhalten, ausländischen jungen Kolleginnen und Kollegen diese Erfahrung zu ermöglichen. Wenn Bewerberinnen oder Bewerber für eine Hospitation mindestens über das Sprachniveau B2 (besser C1) verfügen, dann können beide Seiten von dem Erfahrungsaustausch gut profitieren und die jeweils andere Sichtweise auf das Fach Dermatologie kennenlernen.
Frage: Frau Nykyforova, welche Erfahrungen nehmen Sie aus der Hospitationszeit mit?
AN: Ich habe hier dermatologische Erkrankungen gesehen, die ich nur aus Büchern kannte. Während ich in der Ukraine vor allem Patienten mit Mykosen, Akne, Psoriasis oder Ekzemen behandelt habe, lernte ich hier Krankheitsbilder aus dem Formenkreis der Autoimmunerkrankungen erstmals an Patientinnen und Patienten kennen. Auch die Dermatoskopie und die neuen Therapien bei Hauttumorpatienten waren mir zuvor nur aus der Literatur bekannt. Interessant fand ich auch die Beschäftigung mit allergologischen Fragestellungen.
Diese Erfahrungen sind sehr hilfreich, um Krankheiten besser zu erkennen und die richtige Diagnose zu stellen, auch wenn manche Krankheiten anders klassifiziert werden als in der Ukraine.
Ich habe die Versorgung der Patientinnen und Patienten in der Klinik als sehr gut wahrgenommen. In Deutschland nehmen sich die Ärztinnen und Ärzte mehr Zeit für Anamnese, Diagnostik, Therapie und Gespräche mit den Betroffenen und Angehörigen. In der Ukraine haben wir viele administrative Aufgaben. Immunologische Therapien wie auch Biologika werden bei uns nur sehr selten eingesetzt, eigentlich nur bei reichen Patientinnen und Patienten, die die Kosten selbst übernehmen.
Ich bin sehr froh, dass ich an der Wuppertaler Hautklinik, in deren Nähe ich wohne, hospitieren konnte. Das Team ist wirklich gut und die Organisation der medizinischen Prozesse ebenfalls. Es ist hilfreich für mich zu sehen, wie man als Ärztin oder Arzt in Deutschland arbeitet. Vielen Dank für diese Möglichkeit!
Frage: Was raten Sie anderen ukrainischen Kolleginnen und Kollegen, die sich für eine Hospitation an einer Hautklinik oder in einer Praxis interessieren?
AN: Wenn sie das deutsche Gesundheitssystem kennenlernen möchten, ihre Kenntnisse über Dermatosen verbessern wollen und ihre Fachsprachkenntnisse erweitern wollen, dann rate ich zur Hospitation. Auch wer sich für dermatologische Operationen interessiert, kann hier viel lernen. Allerdings ist es unverzichtbar, vorher schon gut Deutsch zu sprechen.
Mein Sprachgefühl für Deutsch wurde während der Hospitation zwar besser, aber aufgrund meiner minimalen Deutschkenntnisse haben die Ärztinnen und Ärzte meist auf Englisch mit mir kommuniziert. Somit konnte ich vor allem meine Englischkenntnisse verbessern.
Frage: Frau Prof. Hofmann, wie bewerten Sie das Ergebnis der Hospitation?
SH: Wie Anna Nykyforova selbst gesagt hat, war ihre Hospitation durch die fehlenden Deutschkenntnisse sehr erschwert. Diese Situation kannten wir zuvor nicht, denn üblicherweise fordern wir ausreichende Sprachkenntnisse für die Hospitation ein. Dennoch konnte Frau Nykyforova während der Hospitation die Breite des Faches Dermatologie in Deutschland kennenlernen, was dazu führte, dass sie nun sogar motivierter ist als vorher dem Fach Dermatologie als Ärztin treu zu bleiben. Dies freut uns natürlich und es war auch eine Freude, Frau Nykyforova näher kennenzulernen. Wir wünschen ihr für ihren weiteren Lebensweg alles Gute!
Frage: Frau Nykyforova, was wünschen Sie sich für Ihre berufliche Zukunft?
AN: Ich möchte die Unterschiede zwischen dem deutschen und dem ukrainischen Gesundheitssystem noch besser kennenlernen. Ich würde mir wünschen, dass sich eine Kooperation in wissenschaftlicher Hinsicht ergibt zwischen meinem Arbeitgeber in der Ukraine und dem Helios Klinikum. Wenn die Situation in meinem Land es erlaubt, würde ich gerne eine Forschungsarbeit durchführen und anhand eines Krankheitsbildes ukrainische und deutsche Patientinnen und Patienten vergleichen. Gerne würde ich promovieren.
Vielen Dank für das Gespräch!
Zu den Personen:
Anna Nykyforova, geboren 1991, ist Dermatologin aus Kiew. Sie studierte an der Bogomolets National Medical University in Kiew und schloss im Jahr 2020 ihre Spezialisierung im Fach Dermatologie ab. Sie war primär in der ambulanten Dermatologie in Kiew tätig.
Professor Dr. med. Silke Hofmann, geboren 1977, ist Direktorin des Zentrums für Dermatologie, Allergologie und Dermatochirurgie am HELIOS Universitätsklinikum Wuppertal und Beauftragte für die Öffentlichkeitsarbeit der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft (DDG).
Angebote von Hospitationsplätzen sind sehr willkommen! Bitte schreiben Sie uns – wir prüfen, ob wir eine passende Kandidatin/einen passenden Kandidaten für Sie finden. Mail: ddg(at)derma.de