
Kambodscha: Mit dem „Masterplan“ zum Aufbau einer landesweiten dermatologischen Versorgung
Interview mit Prof. Christoph Bendick und Dr. Friederike Kauer von der International Society of Dermatology in the Tropics e. V.
Kambodscha ist ein Königreich in Südostasien mit einer Bevölkerung von knapp 16 Millionen Menschen. Kommunistische Diktatur und Bürgerkrieg haben die Infrastruktur des Landes in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts extrem geschädigt. Erst seit Ende der 1990er Jahren hat sich das kambodschanische Gesundheitssystem langsam verbessert; mittlerweile werden 7,0 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP) für die öffentliche Gesundheit ausgegeben, was 113,3 US-Dollar/Jahr pro Person entspricht (Zum Vergleich: In Deutschland, das gut 13 % des BIP für Gesundheit ausgibt, sind es 5.440,3 US-Dollar/Jahr pro Person). Die DDG unterstützt den Aufbau einer dermatologischen Versorgung in Kambodscha seit sieben Jahren mit einer jährlichen Zuwendung im Kontext ihres „Fonds für benachteiligte Regionen“.
Frage: Frau Dr. Kauer, welche Hauterkrankungen sind in Kambodscha häufig und wie würden Sie die dermatologische Versorgung dort beschreiben?
Dr. Kauer: Aufgrund des feuchtwarmen Klimas sind Pilzerkrankungen und bakterielle Infektionen sehr häufig. Aber auch klassische dermatologische Erkrankungen wie atopische Dermatitis und Psoriasis sehen wir regelmäßig, zum Teil aufgrund nicht ausreichender, regelmäßiger Therapie stark ausgeprägt. Bei meinen ersten Besuchen in Kambodscha hat es mich überrascht, wie oft Kollagenosen, wie z.B. Lupus erythematodes oder Sklerodermie auftreten. Auch schwere Formen blasendbildender Dermatosen, wie z.B. Pemphigus vulgaris oder bullöses Pemphigoid sieht man häufiger.
Frage: Herr Prof. Bendick, Sie sind Kambodscha seit drei Jahrzehnten verbunden und haben dort gelebt und gearbeitet. 2005 haben Sie im Auftrag des kambodschanischen Gesundheitsministeriums einen umfangreichen „Masterplan Dermatologie“ entwickelt. Was sah dieser vor und was konnte davon umgesetzt werden?
Prof. Bendick: Der Plan wurde in Kooperation von kambodschanischem Gesundheitsministerium, der Universität für Gesundheitswissenschaften in Phnom Penh und dem Centrum für Internationale Migration und Entwicklung (CIM) in Eschborn erarbeitet, für welches ich in der Funktion einer Integrierten Fachkraft tätig war. Seine Eckpfeiler sind:
1. Entwicklung einer Facharztausbildung Dermatologie,
2. Aufbau einer dermatologischen Klinik der Tertiärversorgung in Phnom Penh,
3. Aufbau dermatologischer Sprechstunden in der kambodschanischen Provinz,
4. Qualitätsmanagement in der Dermatologie,
5. Integration dermatologischer Leistungen in die Krankenversicherung.
Es versteht sich, dass ein derart umfangreiches Programm nicht in all seinen Komponenten gleichermaßen schnell entwickelt werden kann, auch angesichts der Heterogenität lokaler Interessen. Gleichwohl konnte die dermatologische Versorgung in Kambodscha seit 2005 so weit verbessert werden, dass heute eine Reihe ausgebildeter Fachärzte v.a. in der Hauptstadt Phnom Penh tätig sind und es eine funktionierende dermatologische Abteilung in einem der großen öffentlichen Krankenhäuser der Hauptstadt gibt. Diese versorgt sowohl ambulante wie auch stationäre Patientinnen und Patienten in großer Zahl. Ebenso scheint die Integration einer Vielzahl dermatologischer Leistungen in den Kanon der (in den vergangenen 15 Jahren neu etablierten) Krankenversicherung erfolgreich zu sein, mehrheitlich allerdings nur für Personen, welche einer regelmäßigen bezahlten Beschäftigung nachgehen. Anhaltend schwierig ist die ortsnahe Versorgung dermatologisch Kranker in entfernteren Landesteilen Kambodschas, da angesichts der notorisch niedrigen Gehälter, die im öffentlichen Dienst bezahlt werden, nur wenige Ärztinnen und Ärzte bereit sind, in ländlichen Gegenden zu praktizieren. Auch das Qualitätsmanagement als ausgesprochen interdisziplinäre Aufgabe ist weiterhin entwicklungsbedürftig.
Frage: Frau Dr. Kauer, was unterscheidet die Behandlung von Patientinnen und Patienten hierzulande von der Behandlung Erkrankter in Kambodscha?
Dr. Kauer: In Kambodscha sind insbesondere unterprivilegierte Patientinnen und Patienten nicht krankenversichert. Das heißt, sie müssen für die Kosten von Diagnostik und Therapie selbst aufkommen. Daher kommen viele Patientinnen und Patienten sehr spät, unregelmäßig oder gar nicht zu ihrer Behandlung. Das führt dann häufig dazu, dass sie sich mit wesentlich stärker ausgeprägten Hautbefunden vorstellen. Ein Teil unseres Projektes ist die finanzielle Unterstützung des Kaufs von Medikamenten oder Basistherapeutika, mit denen mittellose Patientinnen und Patienten versorgt werden können.
Frage: Herr Prof. Bendick, das Kambodscha-Projekt entwickelt sich stetig weiter. Worum geht es bei der zuletzt initiierten „dermatologischen Kooperation“? Was ist die Zielsetzung?
Prof. Bendick: Nachdem viele Jahre lang vor allem die Abteilung für Dermatologie im Preah Kossamak-Hospital in Phnom Penh gefördert wurde, schien es geboten, das Engagement zu diversifizieren und andere Kliniken in der Hauptstadt in die Entwicklung des dermatologischen Angebots mit einzubeziehen. Die Wahl fiel auf Kambodschas größtes Krankenhaus, das Calmette-Hospital. Es hat sich in den letzten Jahren quantitativ und qualitativ sehr entwickelt und die Klinikleitung möchte den Ausbau der bislang weniger beachteten dermatologischen Abteilung aktiv vorantreiben. Unter dem Motto Skin Health for All ist die Zielsetzung eine Kooperation mit den Komponenten:
• Ausbau der Abteilung zu einem Zentrum der dermatologischen Lehre
• Austausch von Studierenden und angehenden Fachärztinnen und Fachärzten
• technisch-apparative Entwicklung inklusive Teledermatologie und -pathologie
• finanzielle Unterstützung unterprivilegierter Patientinnen und Patienten
Frage: Frau Dr. Kauer, wie ließe sich die Zusammenarbeit noch verbessern? Was braucht die kambodschanische Dermatologie am meisten?
Dr. Kauer: Aus unserer Sicht braucht die kambodschanische Dermatologie mehr kompetente Fachärztinnen und Fachärzte, die in den ländlichen Regionen tätig sind, denn dort ist nach wie vor die Versorgung sehr rudimentär oder gar nicht vorhanden. Hierzu müsste die Arbeitssituation für die dermatologischen Ärztinnen und Ärzte auf dem Land „attraktiver“ werden. Ein Teil unseres Projektes sind „Einsätze auf dem Land“. In sogenannten Gesundheitszentren versuchen wir, die Versorgung der Patientinnen und Patienten zu verbessern, aber das ist bisher leider immer nur ein temporärer Effekt.
Frage: Herr Prof. Bendick, im Jahr 2018 fand der sehr gut besuchte 6. Tropendermatologische Kurs der International Society of Dermatology in the Tropics e. V. in Kambodscha statt. Was macht solche Fortbildungsangebote so wichtig und ist eine Wiederholung geplant?
Prof. Bendick: In Zeiten des Klimawandels und der Energieknappheit kann man sich natürlich fragen, ob Veranstaltungen dieser Art noch zeitgemäß sind, vor allem da wir mittlerweile sehr gut an virtuelle Treffen gewöhnt sind. Gleichwohl lässt sich die direkte Begegnung mit Land und Leuten nur schwer ersetzen: Dies gilt sowohl für ausländische Besucherinnen und Besucher, die sich einer medizinisch und soziokulturell ganz anders gearteten Umgebung ausgesetzt sehen, wie auch für einheimische Medizinerinnen und Mediziner, die davon profitieren, sich mit Menschen aus ganz anderen Medizin- und Versicherungssystem auszutauschen. Hinzu kommt die Möglichkeit der Begegnung mit einheimischen Patienten, wie in Kambodscha sehr eindrucksvoll bei Gelegenheit des Besuchs des örtlichen Lepra-Zentrums zu beobachten war.
Frage: Herr Prof. Bendick, Frau Dr. Kauer, wie lässt sich Ihre persönliche Verbundenheit mit dem Land und dem Kambodscha-Projekt beschreiben? Was motiviert Sie, sich zu engagieren?
Prof. Bendick: Kambodscha ist unter der Herrschaft der Roten Khmer 1975 bis 1979 durch eine Periode unfassbarer Grausamkeit und Härte gegangen: Etwa 30 % der Bevölkerung sind durch Folter, Hunger, Mord und unzureichende Behandlung selbst banaler Krankheiten zugrunde gegangen. Die psychische Traumatisierung älterer Menschen, welche sich teilweise bis in die nächste Generation fortsetzt, ist immer noch augenfällig. Spätfolgen dieser steinzeitkommunistischen Jahre liegen auch im Bereich der medizinischen Versorgung offen zutage: sei es was das fachliche Niveau vieler Ärzte, sei es was die technische Ausstattung oder die Versorgung Kranker in der Provinz betrifft. Sich hier einzubringen und die dermatologische Versorgung aufzubauen bzw. zu verbessern, schien mir befriedigender und herausfordernder, als eine konventionelle Laufbahn im deutschen Medizinsystem anzustreben. Zusätzliche Motivation für die Tätigkeit in einem andersartigen kulturellen Umfeld war mein Ethnologie-Studium mit Schwerpunkt „Asien“.
Dr. Kauer: Die Patientinnen und Patienten sind teilweise schwer krank und können sich eine Therapie nicht leisten. Viele junge Ärztinnen und Ärzte sind sehr motiviert und wollen weiter dazulernen.
Ich hatte das Glück, in einem wohlhabenden Land aufgewachsen und vielfältig ausgebildet worden zu sein. Ich möchte davon etwas abgeben an wundervolle Menschen, die mir mit viel Dankbarkeit, Herzlichkeit und Freundschaft begegnen. Abgesehen davon sind die Aufenthalte in Kambodscha mit seiner interessanten Kultur, Geschichte und Natur für mich persönlich sehr bereichernd.
Frage: Wie können sich Dermatologinnen und Dermatologen in Ihre Arbeit einbringen?
Prof. Bendick: Interessierte können sich auf der Website (https://ag-cambodia.de) umfassend informieren. Das betrifft auch die Möglichkeiten, vor Ort mitzuarbeiten. Wichtig und hilfreich ist das Angebot englischsprachiger Praktikumsplätze in Deutschland für kambodschanische Kolleginnen und Kollegen, die sich auf Gebieten weiterbilden möchten, welche in Kambodscha nicht oder nur unzureichend repräsentiert sind. Dazu gehören z.B. Allergologie, Histopathologie, Phlebologie oder Proktologie.
Dr. Kauer: Wir vermitteln gern Hospitationen für Studierende und Assistenzärztinnen und -Ärzte. Nach den Erfahrungen durch Corona versuchen wir, ein online-teaching zu etablieren und würden uns freuen, wenn sich Kolleginnen und Kollegen mit Vorträgen beteiligen. Interessenten können uns gern über die Website kontaktieren.
Vielen Dank für das Gespräch!
Zu den Personen:
Dr. med. Friederike Kauer ist Dermatologin und Dermatopathologin. Sie arbeitet als Dermatopathologin im MVZ für Pathologie am Bundeswehrkrankenhaus Berlin und als Dermatologin und Tropendermatologin in einer Praxisgemeinschaft in Berlin-Mitte.
Trotz hoher Arbeitsverdichtung versucht sie, jährlich oder zumindest alle zwei Jahre für ca. ein bis drei Wochen nach Kambodscha zu reisen. Sie arbeitet dann überwiegend mit der kambodschanischen Kooperationspartnerin Frau Dr. Thay am Calmette Hospital, Phnom Penh. Dr. Kauer ist die 2. Vorsitzende der International Society of Dermatology in the Tropics e. V. und engagiert sich zusammen mit Prof. Bendick in der „AG Kambodscha“, die sie mitbegründet hat.
Prof. Dr. med. Christoph Bendick ist Dermatologe und Ethnologe, er lebte und arbeitete von 1994 bis 2018 in Kambodscha. Zunächst DAAD-Langzeitdozent für Haut- und Geschlechtskrankheiten an der Medizinischen Fakultät der Universität für Gesundheitswissenschaften in Phnom Penh, war er ab 2005 in der Administration der Universität und klinisch in der Abteilung für Haut- und Geschlechtskrankheiten des Preah Kossamak-Lehrkrankenhauses tätig. Heute setzt er sich als Liaison Officer Cambodia der International Society of Dermatology in the Tropics e. V. weiterhin für die Entwicklung der Dermato-Venerologie in Kambodscha ein.
Kontakt:cambodia.derma(at)gmail.com