Beruf und Schwangerschaft: Konsensuspapier gibt Orientierung
In der Schwangerschaft sicher weiterarbeiten und operieren ist in vielen Bereichen möglich: Ein Konsensuspapier gibt Orientierung
Gefährdungsbeurteilung des Arbeitsplatzes und Positivlisten helfen
Ein Interview mit Dr. Andrea Kreuder und Prof. Julia Welzel
Das Mutterschutzgesetz (MuSchG) wurde 2018 novelliert und hat die Aufgabe, Frauen im Rahmen des Mutterschutzes zu schützen: vor möglichen Gefahren und Gesundheitsschäden während der Schwangerschaft und der Stillzeit, vor dem Verlust des Arbeitsplatzes (generelles Kündigungsverbot vom Beginn der Schwangerschaft an bis zum Ende des Mutterschutzes) und vor Einkommenseinbußen während der Beschäftigungsverbote durch finanzielle Leistungen.
Noch vor einigen Jahren kam es in vielen Fällen insbesondere an Kliniken, an denen Schwangere aus den operierenden Fächern tätig waren, mit der Mitteilung der Schwangerschaft automatisch zu einem Beschäftigungsverbot. Das novellierte MuSchG sollte genau das verhindern. Schwangeren Frauen soll die Möglichkeit gegeben werden, in ihrer Beschäftigung zu verbleiben, sofern sie das wollen. Operieren in der Schwangerschaft ist für viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitgeber mit vielen offenen Fragen verbunden.
Mithilfe von Positivlisten kann die Planung der Weiterbeschäftigung schwangerer Mitarbeiterinnen auf ein solides Fundament gestellt werden. Verschiedene chirurgische Fachdisziplinen und andere operierende Fächer wie die Dermatologie haben nun ein Konsensuspapier vorgelegt. Warum das Thema „Operieren in der Schwangerschaft“ so relevant ist und welche Aspekte bei der konkreten Planung einer Weiterbeschäftigung bedacht werden müssen, erläutern Dr. Andrea Kreuder (Initiative OPidS) und Prof. Julia Welzel (DDG) im Interview.
Frage: Frau Prof. Welzel, was ist der Grund dafür, dass in der Vergangenheit häufig nach der Bekanntgabe einer Schwangerschaft die schwangere Ärztin mit einem Beschäftigungsverbot belegt wurde?
Prof. Julia Welzel (JW): Als Ärztin oder Arzt geht man täglich mit Situationen um, die die eigene Gesundheit gefährden können, wie körperliche Anstrengung bei Notfällen, Verletzungen bei Eingriffen und insbesondere Infektionen. Diese Risiken sind in einer Schwangerschaft noch ernster zu werten, da damit eine Gefährdung nicht nur der Schwangeren, sondern auch des Kindes einhergehen kann. Nun haben Ärztinnen und Ärzte aber auch sehr gut gelernt, mit diesen Risiken umzugehen, können sie einschätzen und kennen Strategien, diese zu minimieren.
Frage: Frau Dr. Kreuder, aus welchen Gründen ist es für Arbeitgeber – vor allem in den chirurgischen Fächern – lohnenswert, sich mit dem Thema Weiterbeschäftigung von schwangeren Ärztinnen zu befassen?
Dr. Andrea Kreuder (AK): Die Beschäftigung von schwangeren Ärztinnen ist etwas, was nicht willkürlich entschieden werden darf, sondern im Mutterschutzgesetz geregelt ist. Die in der täglichen Praxis oft pauschalen und unbegründeten Beschäftigungsverbote sind ungerecht, nicht gerechtfertigt und führen im Klinikalltag zu einem Verlust von Expertise. Gerade in Zeiten des Fachkräftemangels könnten eingearbeitete Kolleginnen trotz Schwangerschaft weiter operieren oder Sprechstunden anbieten, um Patientinnen und Patienten weiter zu versorgen.
Frage: Sie engagieren sich in der Initiative „Operieren in der Schwangerschaft“, die nun mithilfe eines Konsensuspapiers Ärztinnen und Arbeitgebern mehr Orientierung geben möchte. Wie ist das Papier strukturiert und welche medizinischen Fächer sind beteiligt?
AK: Das Konsensuspapier hat einen einleitenden Teil mit Hintergrundinformationen, gefolgt von einem Teil mit rechtlichen Grundlagen. Das Herzstück aber sind die Positivlisten aller 14 chirurgischen Fachgesellschaften, die an dem Papier mitgewirkt haben. Positivlisten sind eine Aufzählung an operativen Eingriffen, die laut Meinung der jeweiligen Fachgesellschaft ohne Bedenken in einer Schwangerschaft durchgeführt werden können. Das hilft in der Praxis sehr!
Frage: Wie wird sichergestellt, dass die Handlungsempfehlungen der einzelnen Fächer im Einklang mit der aktuellen Gesetzeslage stehen?
AK: Die Positivlisten können eine Handreichung für die Erstellung einer individuellen Gefährdungsbeurteilung sein – sie sind kein juristisches Dokument. Ich weiß aber, dass viele Fachgesellschaften den Inhalt vorab juristisch haben prüfen lassen.
Frage: Rein juristisch kann eine Schwangere frei entscheiden, ob und wann sie ihren Arbeitgeber über die Schwangerschaft informiert. Allerdings gibt es den gesetzlichen Schutz auch nur, wenn die Schwangerschaft gemeldet worden ist. Welches Vorgehen empfehlen Sie?
AK: Das muss jede Schwangere selbstverantwortlich entscheiden. Sie muss abwägen, ab wann sie und das ungeborene Kind vom Mutterschutzgesetz geschützt werden sollen, wann sie also die Schwangerschaft bekannt gibt. Eine Offenbarungspflicht gibt es jedoch nicht. Aus Sorge vor einem Beschäftigungsverbot verheimlichen einige Kolleginnen ihre Schwangerschaft viele Wochen lang und das darf nicht sein. Unser Ziel ist es daher, ein Bewusstsein für die Möglichkeiten in der Umsetzung eines modernen Mutterschutzes zu schaffen.
Frage: Frau Prof. Welzel, wie sehen die konkreten Umsetzungsschritte aus? Wie kann die schwangere Ärztin ihre Weiterbeschäftigung aktiv unterstützen?
JW: Zusammen mit dem Deutschen Ärztinnenbund haben wir von der AG Frauen und Nachwuchs der DDG fachspezifische Optionen und Arbeitsbereiche definiert, die für schwangere Ärztinnen in der Dermatologie ein risikoarmes Arbeitsumfeld darstellen und dadurch eine Weiterbeschäftigung bis zur Mutterschutzzeit ermöglichen. Diese sind im JDDG publiziert worden (siehe unten). Bei Bekanntgabe der Schwangerschaft setzt sich die Ärztin mit der Klinikleitung zusammen und definiert, in welchen Bereichen sie weiter eingesetzt werden möchte. Diese sogenannte Gefährdungsbeurteilung geht dann an den Betriebsärztlichen Dienst zur Kenntnisnahme. Wichtig ist, der Schwangeren zu signalisieren, dass sie vom Arbeitgeber eine maximale Unterstützung erhält, in den Bereichen ärztlich tätig zu sein, die sie sich zutraut. Das ist sehr viel besser, als pauschale Verbote auszusprechen.
Frage: Eine Schwangerschaft in der Weiterbildungszeit kann für eine Ärztin massive Konsequenzen haben. Wie lässt sich trotz Schwangerschaft und Stillzeit eine Verlängerung der Weiterbildung vermeiden?
JW: In der Schwangerschaft ist eine Weiterbildung in den meisten Bereichen der Dermatologie ohne große Einschränkungen mit entsprechenden Vorsichtsmaßnahmen möglich. Tätigkeiten in der Notfallversorgung und in infektiösen Bereichen sollten vermieden werden. Gerade in der Dermatologie sind elektive Operationen bei Patientinnen und Patienten mit bekannten Grunderkrankungen meist sehr risikoarm durchführbar. In der Stillzeit gibt es keine relevanten Einschränkungen mehr, wenn entsprechende Stillpausen gewährt werden.
Frage: Wo sehen Sie noch besondere Herausforderungen?
JW: Die Herausforderungen liegen immer noch darin, ein Weiterarbeiten als schwangere Ärztin als eine Selbstverständlichkeit zu betrachten. Ein Beschäftigungsverbot sollte die gut begründete Ausnahme darstellen. Bei Komplikationen in der Schwangerschaft sind Zeiten der Arbeitsunfähigkeit wie bei allen anderen Erkrankungen die deutlich bessere Alternative zum pauschalen Beschäftigungsverbot, was gesunde Frauen über viele Monate aus ihrer beruflichen Tätigkeit und dem kollegialen Umfeld reißt.
Frage: Frau Dr. Kreuder, wo finden schwangere Ärztinnen Unterstützung, wenn sie konkret Fragen zur Weiterbeschäftigung während der Schwangerschaft haben?
AK: Unter www.opids.de gibt es viele hilfreiche Informationen und Links. Zudem sind Netzwerke wie „Die Chirurginnen e. V.“ sehr wertvoll für den Austausch mit Betroffenen oder Kolleginnen, die bereits einen Wandel an ihrer Klinik herbeiführen konnten.
Vielen Dank für das Gespräch!
Konsensuspapier: „Fächerübergreifender Konsens in der Chirurgie: Operative Tätigkeiten in Schwangerschaft und Stillzeit“ (2024)
zum Download
Positionspapier der Deutschen Gesellschaft für Dermatochirurgie – Dermatochirurgische Tätigkeiten in Schwangerschaft und Stillzeit. (2024)
zum Download
Die Gesprächspartnerinnen:
Dr. med. Andrea Kreuder ist Ärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe und engagiert sich über den Verein Die Chirurginnen e. V. für die Initiative OPidS (Operieren in der Schwangerschaft).
Prof. Dr. med. Julia Welzel ist Direktorin der Klinik für Dermatologie und Allergologie am Universitätsklinikum Augsburg, Medizincampus Süd und Präsidentin der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft (DDG) e. V.
Literatur:
Konsensuspapier: „Fächerübergreifender Konsens in der Chirurgie: Operative Tätigkeiten in Schwangerschaft und Stillzeit“, hrsg. gemeinsam und interdisziplinär für alle chirurgischen Fachgesellschaften unter der Schirmherrschaft der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie. 2024.
Dengler S. Positionspapier der Deutschen Gesellschaft für Dermatochirurgie – Dermatochirurgische Tätigkeiten in Schwangerschaft und Stillzeit. JDDG: Journal der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft. 2024; 22: 1056–1059. https://doi.org/10.1111/ddg.15500_g
Welzel J, Stanisz-Bogeski H, Nashan D, Puhahn-Schmeiser B. Schwanger - und nun? Möglichkeiten der Weiterbeschäftigung schwangerer Ärztinnen in Hautkliniken. J Dtsch Dermatol Ges. 2022 Dec;20(12):1683-1685. doi: 10.1111/ddg.14964_g. PMID: 36508381.
Operieren während der Schwangerschaft 2024: Positivliste Dermatologie

