Hautarztverfahren auf dem absteigenden Ast? Interview mit Steffen Krohn von der DGUV

INTERVIEW:
Gute Gründe für mehr berufsdermatologische Behandlungen
Zum eklatanten Rückgang der Meldungen bei der Berufskrankheit (BK) 5101 „schwere oder wiederholt rückfällige Hauterkrankung“ ein Gespräch mit Steffen Krohn von der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV)
Als 1972 das Hautarztverfahren eingeführt wurde, um beruflich bedingte Hauterkrankungen früh zu erfassen, war den Unfallversicherungsträgern bereits klar, welches Potenzial präventive Maßnahmen in der Dermatologie haben. Die BK-Nr. 5101 – zum größten Teil handelt es sich dabei um ein berufsbedingtes Handekzem (meist Kontaktekzem) – ist die häufigste angezeigte Erkrankung bei den Berufsgenossenschaften und Unfallkassen. Mit dem Wegfall des Unterlassungszwangs am 01.01.2021 (also der Vorgabe, den Beruf aufzugeben, um eine Anerkennung als Berufskrankheit zu erhalten) schien der Weg frei für mehr Meldungen und Anerkennungen als Berufskrankheit. Expertinnen und Experten hatten erwartet, dass die Zahl der Anzeigen deutlich steigt.
Nun ist das Gegenteil der Fall: Die Zahl der Meldungen ist in den letzten zehn Jahren um etwa 40 % (von ca. 24.000 im Jahr 2013 auf etwa 14.800 im Jahr 2022) gesunken und geht offenbar weiter zurück. Berufsdermatologinnen und -dermatologen sind alarmiert, denn ein weiterer Rückgang der Hautarztverfahren könnte zu einer deutlichen Verschlechterung der Versorgung von betroffenen Patienten und zu Versorgungslücken führen. Über mögliche Ursachen des Rückgangs, die Bedeutung des „Präventionsinstruments“ Hautarztverfahren und die Vorteile für die Patientinnen und Patienten gibt DGUV-Referent Steffen Krohn im Interview Auskunft.
Frage: Herr Krohn, die BK-Nr. 5101 – hier handelt es sich vor allem um das berufsbedingte Handekzem – macht zwei Drittel der Hautkrankheiten aus, die an Unfallkassen/Berufsgenossenschaften gemeldet werden. In den letzten zehn Jahren ist die Zahl der Meldungen um fast 10.000 gesunken. Was könnten die Gründe sein?
Steffen Krohn (SK): Wir vermuten sehr vielschichtige Gründe. Die ersten Gedanken in der gesetzlichen Unfallversicherung sind natürlich, dass Präventionsmaßnahmen zum Hautschutz endlich besser wirken und dass sich die Arbeitswelt hin zu automatisierten Prozessen verändert. Auf der anderen Seite wissen wir, dass die Zahl der behandelnden und damit auch der meldenden Hautärztinnen und Hautärzte zurückgeht. Der Nachwuchs in der Dermatologie kennt das Hautarztverfahren oft nicht (es hatte übrigens im Jahr 2022 sein 50-jähriges Jubiläum!) oder empfindet es im Praxisalltag als zu aufwändig, ebenfalls mit der Folge, dass wir keine Meldungen erhalten.
Frage: Welche Folge könnte es haben, wenn diese Zahlen weiter fallen?
SK: Aus Sicht der Berufsdermatologie gibt es weiterhin viele arbeitsbedingte Hauterkrankungen, nur werden uns die Fälle nicht mehr gemeldet. Trifft das zu, werden viele Menschen nicht mehr adäquat versorgt und wechseln deshalb vielleicht zu früh ihren Job. So verlieren wir als Gesellschaft eventuell Fachkräfte aus der Pflegebranche oder der Gastronomie, die wir dort jedoch dringend bräuchten. Ob das wirklich so ist, versuchen wir aktuell herauszufinden, um nicht voreilige Schlüsse zu ziehen und unser Engagement bei den Hauterkrankungen evtl. zurückzufahren.
Frage: Um diesen Trend umzukehren, ist es sicher hilfreich, die Besonderheiten des Hautarztverfahrens noch einmal klar zu benennen. Welche Vorteile sehen Sie aus Sicht der DGUV für den Patienten/die Patientin? Welchen Nutzen haben die Dermatologinnen und Dermatologen?
SK: Ich bin Ihnen sehr dankbar für diese Frage. In der Vergangenheit haben wir dazu wenig gesagt. Letztlich war das Hautarztverfahren mit der Ärzteschaft vereinbart und es gab die Pflicht zur Teilnahme, zumindest in der vertragsärztlichen Versorgung. Aber in der Praxis funktioniert das nur, wenn alle Beteiligten einen Mehrwert sehen. Die Vorteile sind aus unserer Sicht zufriedene Patientinnen und Patienten. Sie werden außerbudgetär behandelt, bekommen alle Leistungen zuzahlungsfrei, auch Produkte zur Basispflege und – heute der Standard in vielen Branchen – branchenbezogene Hautschutzseminare zur Verhaltensprävention. Daneben werden oft berufsdermatologische Expertinnen und Experten eingebunden, die wertvolle Hinweise geben können, sei es zur Handschuhversorgung, zur Allergenmeidung oder zum richtigen Umgang mit z.B. Friseurstoffen oder Kühlschmiermitteln. All das können Ärztinnen und Ärzte beim UV-Träger mit einem Hinweis in den Hautarztberichten beauftragen. Eine große Entlastung, wie wir finden.
Frage: Häufig werden als Grund für die Zurückhaltung beim Hautarztverfahren der hohe Zeitaufwand und die Formalitäten des Meldeverfahrens genannt. Wie ordnen Sie das ein? Welche Maßnahmen halten Sie aus Sicht der Unfallversicherungsträger für erforderlich? Könnten Fortbildungsangebote helfen?
SK: Vorweg: Man kann nichts falsch machen. Wichtig ist, dass die Unfallversicherungsträger von den Verdachtsfällen erfahren. Und spätestens beim Vorliegen einer schweren oder wiederholt rückfälligen Hauterkrankung im Sinne der Berufskrankheitenverordnung wären Ärztinnen und Ärzte ohnehin durch Gesetz verpflichtet, die Erkrankung an den Unfallversicherungsträger zu melden. Wir möchten diese Meldung nur früher, eben im Rahmen des Hautarztverfahrens. Zwischenzeitlich hat sich gezeigt, dass einige Fragen aus dem – zugegeben recht langen Bericht – nicht von jedem Dermatologen beantwortet werden können, denn nicht jeder ist in der Berufsdermatologie erfahren. Daher erproben wir gerade einen „Hautarztbericht light“, der sich auf die medizinische Kernkompetenz beschränkt. Wie oft sich Versicherte dann die Handschuhe anziehen, fragen wir besser bei den Erkrankten selbst oder bei der Arbeitsstelle nach.
Frage: Welche Vorteile bringt die Umstellung des Berichts- und Abrechnungssystems von Ärzten mit Unfallversicherungsträgern auf einen elektronischen Übermittlungsweg? Wie funktioniert das „UV-Serviceportal“?
SK: Ganz klar erhoffen wir uns von der Digitalisierung eine Reduzierung von Schnittstellen und bürokratischem Aufwand. Das DGUV Serviceportal ist dabei nur eine Übergangslösung, um einen elektronischen Übertragungsweg überhaupt erst zu ermöglichen und es ist eigentlich schon Geschichte. Ab Juli 2024 soll es die Schnittstelle der gesetzlichen Unfallversicherung in den KIM Systemen geben. Das bedeutet, Berichte und auch sonstigen Nachrichten können einfach über die Praxissoftware versandt werden. Ich hoffe, es funktioniert möglichst reibungslos. Jetzt liegt es an uns, auch die Berichte ins digitale Zeitalter zu überführen. Dazu passt natürlich keine Körperskizze, die händisch ausgefüllt und dann eingescannt werden muss.
Frage: Welche weiteren Angebote und Hilfen der DGUV stehen Dermatologinnen und Dermatologen zur Verfügung, die geeignet sind, dem Hautarztverfahren einen neuen Aufschwung zu bringen?
SK: Beispielhaft möchte ich auf die Möglichkeiten der Unfallversicherungsträger im gestuften Verfahren Haut hinweisen. Es gibt viele branchenbezogene Angebote, der Präventionsdienst kann vor Ort den Arbeitsplatz optimieren, es gibt stationäre Heilverfahren. All das können meldende Hautärztinnen und Hautärzte für ihre Patientinnen und Patienten initiieren und sich dabei selbst entlasten, um mehr Zeit für andere Erkrankungsfälle zu haben.
Vielen Dank für das Interview!
Zur Person:
Steffen Krohn ist Referent in der Abteilung Berufskrankheiten, Hauptabteilung Versicherung und Leistungen der Deutschen Gesetzliche Unfallversicherung e. V. (DGUV)
E-Mail: Steffen.Krohn(at)dguv.de
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Hilfreiche Links zur BK-Nr. 5101:
Relevante Formtexte der gesetzlichen Unfallversicherung als Word- und als PDF-Dokumente:
Darunter:
- Anzeige auf Verdacht einer Berufskrankheit
- Erläuterungen Anzeige Verdacht BK
- Erstbericht Hautarzt BK-Nr. 5101
- Berufskrankheiten-Liste
https://www.dguv.de/bk-info/service/index.jsp
DGUV Honorarleitfaden für die Berufsdermatologie
Honorare in der Berufsdermatologie – Ein Leitfaden für die Abrechnung von A bis Z | DGUV Publikationen
Vergütung der Leistungserbringer
https://www.dguv.de/de/reha_leistung/verguetung/index.jsp
Gebührenverzeichnis für ärztliche Leistungen
UV - GOÄ 2024, Stand 01.01.2024
https://www.dguv.de/medien/inhalt/reha_leistung/verguetung/uv-goae_stand-01-01-2024.pdf
UV-Serviceportal
https://serviceportal-uv.dguv.de/mapping/finder?tab=traeger&gruppenBezeichnung=DOKTOR&leistung=OZG-350
Gutachtenseminare
Zertifikat „Berufsdermatologie (ABD)“: Zertifizierungsseminare 2024und MFA-Seminare für „Berufsdermatologie“
Informationen auf der Webseite der Arbeitsgemeinschaft für Berufs- und Umweltdermatologie (ABD) der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft (DDG): https://www.abderma.org/gutachtenseminare/