Reha bei Atopischer Dermatitis: Interview mit Dr. Athanasios Tsianakas und Dr. Hanka Lantzsch

Reha bei Atopischer Dermatitis_Interview mit Priv.-Doz. Dr. Athanasios Tsianakas und Dr. Hanka Lantzsch
Neurodermitis, atopische Dermatitis (AD) oder atopisches Ekzem genannt, betrifft hierzulande etwa 13 % aller Kinder und etwa 2 % aller Erwachsenen. Die meisten Patientinnen und Patienten haben eine leichte Ausprägung. Je nach Lokalisation und Ausdehnung kann sich jedoch eine schwere Hauterkrankung entwickeln.
Für welche an Neurodermitis Erkrankten kommt grundsätzlich eine Reha infrage? Welche Bedingungen müssen erfüllt sein?
Priv.-Doz. Dr. Athanasios Tsianakas (AT): Letztlich können alle an Neurodermitis Erkrankten einen Rehabilitationsantrag stellen. Bei Erwerbstätigen ist meist die Deutsche Rentenversicherung (DRV) zuständig (Arzt- und Patientenformular), bei Kindern und Rentnern ist es die Krankenkasse (nur ein Arztformular, Muster 61). Für all diese Dokumente hat die in der DDG organisierte Arbeitsgemeinschaft Rehabilitation in Dermatologie (AReD) Arbeitsvorlagen entworfen, um es den Patientinnen/Patienten und Ärztinnen/Ärzten leichter zu machen, einen erfolgreichen Antrag zu stellen.
Die Kostenträger genehmigen eine Rehabilitation in der Regel bei Gefährdung der Leistungsfähigkeit (dies ist bei einer chronisch-entzündlichen Hauterkrankung wie dem Atopischen Ekzem meist der Fall, da beispielsweise durch den chronischen Pruritus ausgeprägte Schlaf- und Konzentrationsstörungen bestehen) und bei positiver Reha-Prognose. Des Weiteren gilt: Je stärker die Einschränkungen und je größer die Probleme im Alltag durch die Erkrankung sind, desto eher wird eine Rehabilitation bewilligt. Ein Anspruch besteht in der Regel alle vier Jahre. Gemeinsam mit dem behandelnden Arzt wird der Antrag gestellt. Die Bewilligung einer Rehabilitationsmaßnahme liegt dann beim Kostenträger, stehen aber bei einem gut begründeten Antrag sehr gut.
Was unterscheidet eine Reha im Anschluss einer Akutkrankheit (zum Beispiel Schlaganfall oder Herzinfarkt) von einer Reha für Menschen mit einer chronischen (Haut-)Erkrankung?
Dr. Hanka Lantzsch (HL): Aufgrund der Chronizität der Erkrankung, die meist schon im Kindesalter beginnt, wird ein Schwerpunkt auf den Umgang mit der Hauterkrankung in den verschiedenen Lebenssituationen gelegt. Dies umfasst neben psychologischen Elementen auch Entspannungsverfahren, Seminare und Vorträge sowie Schulungen über die Erkrankung selbst. Daneben wird ein individuell angepasstes Sportgramm einschließlich Physiotherapie angeboten. Darüber hinaus findet selbstverständlich auch eine intensive Behandlung der Erkrankung selbst statt. Hier bietet die Rehabilitation beste Möglichkeiten mittels einer intensivierten Lokaltherapie, allen Möglichkeiten der modernen Systemtherapie sowie einer Bade- und Lichttherapie, um auch eine langfristige Krankheitskontrolle zu erlangen.
Gibt es Zahlen zur Inanspruchnahme einer Reha bei Neurodermitis-Erkrankten?
AT: Die Anzahl der Anträge und der tatsächlich durchgeführten Rehabilitationsleistungen ist bedingt durch die Corona-Pandemie in den letzten drei Jahren massiv gesunken. Verfügbare Zahlen stammen aus der Statistik der DRV, die größtenteils erwachsene Patienten im Angestelltenverhältnis einschließt. So kam es von 2018 bis 2021 zu einer deutlichen Abnahme um 42 % (von 2498 im Jahr 2018 durchgeführten Rehabilitationsleistungen bei Ekzemerkrankungen auf nur 1461 im Jahr 2021). Seit diesem Jahr steigen die Zahlen aber wieder. Dieser Trend ist sehr zu begrüßen, da die dermatologische Rehabilitation eine wichtige Rolle in der Versorgung von Neurodermitis-Erkrankten spielt, indem sie neben der Therapie eine tragende Rolle bei der Krankheitsverarbeitung und Gesunderhaltung spielt.
Was ist das Ziel einer Reha bei Menschen mit Neurodermitis?
HL: Neben der Verbesserung der Hauterscheinungen liegt ein weiteres Ziel auf dem langfristigen Management der chronischen Erkrankung. Die Patientinnen und Patienten erlernen die Hintergründe der Erkrankungen, den natürlichen Verlauf und wie man therapeutisch der Erkrankungen begegnet und beispielsweise Schübe erfolgreich behandeln kann. Zudem sollen die Lebensqualität gesteigert und Stigmatisierungen reduziert werden. Hier spielen die psychologische Betreuung, der Austausch mit gleichartig Erkrankten sowie ein intensives aktivierendes Sportgramm eine wichtige Rolle. Ein weiteres Ziel ist es, durch all die oben genannten Rehamaßnahmen die Arbeitsfähigkeit zu erhalten oder diese wiederherzustellen (Stichwort: „Reha vor Rente“) und die Patientinnen und Patienten nach der Reha wieder erfolgreich in den Alltag zurückzuführen.
Wie unterscheidet sich eine stationäre Reha für Erwachsene von einer für Kinder- und Jugendliche? Gibt es andere Maßnahmen während des Aufenthaltes?
AT: Die Rehabilitation umfasst bei Erwachsenen meist drei Wochen, bei Kindern hingegen vier Wochen. Für die Reha von Kindern und Jugendlichen gibt es spezielle Rehabilitationskliniken, in denen die Kinder unter sich sind und ihnen speziell auf Kinder und Jugendliche angepasste Programme angeboten werden. Je nach Alter der Kinder findet in der Reha auch eine intensive Einbindung der Eltern statt. Hier gibt es auch eigene Elternschulungen. Das heißt, dass die Eltern mit zur Reha ihrer Kinder eingeladen werden. Dies hat den Vorteil, dass das Erlernte besser zu Hause umgesetzt werden kann. Ein wichtiges Augenmerk bei älteren Jugendlichen in der Rehabilitation liegt auch auf der Berufsberatung, um zukünftigen etwaigen Schwierigkeiten durch stark hautbelastende Berufe vorzubeugen.
Für stark psychisch belastete erwachsene Patienten besteht die Option der sogenannten „Verhaltensmedizinisch orientierten Rehabilitation (VOR)“. Hier wird das Rehaprogramm um spezielle verhaltensmedizinisch orientierte Verfahren ergänzt. Neben der Ärztin/dem Arzt ist auch die Psychologie und Sportmedizin fest eingebaut. Der Zeitraum beträgt bei diesem Programm vier Wochen.
Welche Bedeutung hat eine leitliniengerechte Behandlung (auch) im Reha-Bereich?
HL: Die leitliniengerechte Behandlung spielt in der Rehabilitation eine extrem große Rolle. Während der Reha werden die Patientinnen und Patienten auch intensiv medizinisch behandelt, was alle Chancen einer intensivierten Lokaltherapie, aber auch der Systemtherapie sowie der Balneofototherapie einschließt. Viele Patientinnen und Patienten erlernen erst während ihrer Rehamaßnahme den Stellenwert einer täglichen rückfettenden Basistherapie. Durch die Dauer einer Rehabilitationsmaßnahme von mindestens drei Wochen bietet sich in diesem Rahmen die Durchführung einer Balneofototherapie an.
Auch spielen die Hintergründe und das Verstehen um die leitliniengerechte Therapie eine große Rolle im Rahmen der Patientenschulungen, damit die Patientinnen und Patienten auch nach Beendigung der Rehamaßnahme das Erlernte zu Hause weiter erfolgreich umsetzen können, um ihren Alltag mit der chronischen Erkrankung in Zukunft besser zu meistern.
Welchen Stellenwert hat aus Ihrer Sicht die Rehabilitation für die langfristige Behandlung und den Umgang mit der Erkrankung?
AT: Die medizinische Rehabilitation ist neben der ambulanten und stationären akutmedizinischen Behandlung die dritte Säule der Versorgung unserer Patientinnen und Patienten. Eine Rehabilitationsmaßnahme ist somit ein sehr wichtiger Baustein insbesondere aufgrund der Chronizität der Erkrankung, aber auch des mit der Erkrankung einhergehenden Leidensdrucks beispielweise bedingt durch den quälenden Pruritus. Die Patientinnen und Patienten erlernen in den zahlreichen Visiten, Behandlungssitzungen, Schulungen und in Gruppensitzungen mit gleichartig Erkrankten, wie sie zukünftig erfolgreich mit der Erkrankung und ihren Symptomen umgehen. Zudem wird während der Rehabilitation auch großer Wert auf einen ganzheitlichen Ansatz gelegt, so dass beispielsweise die Begleiterkrankungen effektiv mitbehandelt werden.
Insgesamt liegt der Schwerpunkt einer Rehabilitationsmaßnahme bei Neurodermitis neben der Therapie und einem breiten Programm zum Thema Gesunderhaltung mit u.a. einem ausgedehnten Sportprogramm auch auf der psychologischen Betreuung mit Schwerpunkt der Krankheitsverarbeitung. Einen neuen Schwerpunkt liefert die Verhaltensmedizinisch-orientierte Rehabilitation (VOR) mit einer stärkeren Einbeziehung der psychischen Elemente.
Wie schätzen Sie die Versorgungslage ein? Sind Betroffene/ihre Angehörigen und Ärzte/Ärztinnen ausreichend über das Thema dermatologische Rehabilitation informiert? Wird das „Instrument“ Rehabilitation adäquat genutzt? Was kann verbessert werden?
HL: Die in Deutschland etablierten dermatologischen Rehabilitationskliniken bieten unseren Patientinnen und Patienten eine hervorragende Möglichkeit zur Behandlung und Betreuung bei einer so belastenden Erkrankung wie dem Atopischen Ekzem. Leider ist das Wissen um die Inhalte und die Chancen einer solchen Rehamaßnahme unter den in der Akutversorgung tätigen Kolleginnen und Kollegen leider nur mäßig vorhanden. So wissen viele Kolleginnen und Kollegen kaum, was während einer medizinisch dermatologischen Rehabilitation passiert, können also ihre Patientinnen und Patienten auch nicht dahingehend beraten. Viele Reha-Anträge werden daher von hausärztlichen Kollegen gestellt, für die die Inhalte, aber auch das Wissen um das Antragswesen bereits in der Facharztausbildung einen wichtigen Stellenwert haben. Hier gibt es also noch viel Aufholbedarf für uns Dermatologen.
AT: Die Arbeitsgemeinschaft Rehabilitation in der Dermatologie (AReD) hat es sich aus diesem Grund zur Aufgabe gemacht, das Wissen um die Chancen und Inhalte einer dermatologischen Rehamaßnahme sowie das Erlernen einer erfolgreichen Antragstellung unter der Kollegenschaft zu fördern. Hierzu finden bundesweit zahlreiche Fortbildungsveranstaltungen zum Beispiel auch mit Unterstützung der Unna Akademie sowie regionaler Qualitätszirkel statt. Hilfe zur erfolgreichen Antragstellung findet sich auf der Seite der AReD. Dort stehen bereits vorgefertigte Anträge mit einer Schritt-für-Schritt-Anleitung zur Verfügung.
Vielen Dank für das Gespräch!
Zu den Personen:
Priv.-Doz. Dr. med. Athanasios Tsianakas ist Chefarzt des Fachbereichs Dermatologie an der Fachklinik Bad Bentheim und Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Rehabilitation in der Dermatologie (AReD)
Dr. med. Hanka Lantzsch ist Chefärztin der Klinik für Dermatologie & Allergologie, Asklepios Nordseeklinik Westerland/Sylt und stellvertretende Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Rehabilitation in der Dermatologie (AReD)