Interview: "Schlüsselrolle der Dermatologie bei Früherkennung und Diagnose der Mastozytose"
Jetzt mitmachen: Umfrage von Dr. Polina Pyatilova und Priv.-Doz. Dr. med. Frank Siebenhaar: Link zur Umfrage
Ein Gespräch mit Priv.-Doz. Dr. Frank Siebenhaar
Mastozytosen sind seltene Erkrankungen, die durch eine Vermehrung von Mastzellen in der Haut, im Gastrointestinaltrakt und/oder anderen Organen gekennzeichnet ist. Mastozytosen können im Kindes- und im Erwachsenenalter auftreten. Zu den seltenen Formen gehören die Mastzellleukämie, die aggressive Mastozytose und das extrem rare Mastzellsarkom, bei denen eine zytoreduktive Therapie erforderlich ist.
Priv.-Doz. Dr. med. Frank Siebenhaar erläutert im Interview wie komplex die Behandlung von Mastozytosen-Erkrankten ist, welche Rolle die Dermatologie für die Früherkennung und die Diagnosestellung einnimmt und warum es wichtig ist, Daten zur Versorgungsrealität zu erheben.
Frage: Wie verbreitet ist Mastozytose in Deutschland, bei wem tritt sie auf und wann und wie wird sie diagnostiziert?
Frank Siebenhaar (FS): Die Mastozytose ist eine seltene Erkrankung, die in allen Altersgruppen vorkommt, jedoch bei Erwachsenen meist als systemische Form auftritt. Dank verbesserter diagnostischer Verfahren erkennen wir heute mehr Fälle als früher – aktuelle Zahlen sprechen von über 20 Betroffenen pro 100.000 Einwohnern. Die Diagnose erfolgt in spezialisierten Zentren, basiert auf klinischen Symptomen, Laborparametern wie Tryptase sowie molekulargenetischen Tests – insbesondere dem Nachweis der KIT D816V-Mutation. Zentral ist hierbei der interdisziplinäre Ansatz, der Dermatologie, Hämatologie, Allergologie und weitere Fächer einbezieht.
Frage: Was sind charakteristische Symptome? Welche Bedeutung hat das Aufspüren bestimmter Auslöser?
FS: Typisch sind Hautveränderungen, meist bräunlich-rote, juckende Flecken sowie systemische Symptome durch Mediatorfreisetzung wie Flush, Diarrhoe, Kopfschmerzen, Herzrasen oder auch anaphylaktische Reaktionen. Das Erkennen und die Vermeidung individueller Auslöser wie zum Beispiel Medikamente oder Insektenstiche ist essenziell für die Lebensqualität und Sicherheit der Patientinnen und Patienten.
Frage: Welche Formen werden klinisch unterschieden und wie sind die Prognosen?
FS: Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) unterscheidet kutane und systemische Formen, wobei letztere in indolente, smoldering und fortgeschrittene Subtypen eingeteilt werden. Bei der häufigsten Form, der indolenten systemischen Mastozytose, ist die Prognose gut. Schwerwiegendere Verläufe wie die aggressive Form oder Mastzellleukämie erfordern eine zytoreduktive Therapie. Für die Einschätzung der Prognose ist eine strukturierte Diagnostik entscheidend.
Frage: Mastozytose-Patientinnen und -Patienten zeigen eine hohe Prävalenz für Anaphylaxien und werden häufig über diese erstmalig diagnostiziert. Zusammen mit den charakteristischen Hautveränderungen und der Mediatorsymptomatik (Flush, Diarrhoe, Tachykardie) wird deutlich, dass die Dermatologie eine Schlüsselrolle bei der Diagnose einnimmt. Wird die Mastozytose immer sofort und richtig erkannt?
FS: Leider nein. Unsere Daten und auch internationale Studien zeigen, dass die Erkrankung häufig übersehen wird, insbesondere in der hausärztlichen oder nicht-spezialisierten dermatologischen Versorgung. Dabei sind gerade Hautveränderungen und Mediatorsymptome wie Anaphylaxie oftmals erste Hinweise. Dermatologinnen und Dermatologen spielen hier eine Schlüsselrolle, da sie als erste Fachdisziplin mit den Betroffenen in Kontakt kommen. Die frühe dermatologische Einschätzung kann den Weg zur richtigen Diagnose erheblich verkürzen.
Frage: Welche Behandlungsansätze gibt es und wie werden Patientinnen und Patienten auf Notfälle vorbereitet?
FS: Zentral ist die Vermeidung von Auslösern sowie die symptomatische Behandlung mit Antihistaminika, Mastzellstabilisatoren und ggf. Omalizumab. Bei schweren, nicht anders zu kontrollierenden Fällen kommen Tyrosinkinase-gerichtete Therapien wie Avapritinib zum Einsatz. Notfallsets mit Adrenalin-Autoinjektor, Antihistaminikum und Kortikosteroid sind für viele Patientinnen und Patienten unverzichtbar.
Frage: Zu Diagnose und Behandlunggibt es eine WHO-Klassifikation aus dem Jahr 2016 (Up-Date 2022). Sie haben die World Allergy Organiszation-Studie (2023) mitbegleitet, um u.a. herauszufinden, ob diese Klassifikation ausreichend bekannt ist. Wie war die Umfrage designed, wer hat sich beteiligt und welche Erkenntnisse konnten Sie ableiten?
FS: Wir haben 2021 weltweit Ärztinnen und Ärzte befragt, die Mastozytose behandeln – insbesondere über WAO, GA²LEN, UCARE/ACARE, DGAKI und EMBRN. Die Ergebnisse der über 600 Antworten aus 79 Ländern zeigten teils erhebliche Abweichungen von internationalen Empfehlungen. Nur etwa jede/jeder zweite Befragte nutzte die WHO-Klassifikation konsistent, Knochenmarkuntersuchungen wurden vielerorts nicht durchgeführt. Die Studie unterstreicht den Bedarf an Fortbildung, besserem Zugang zu Diagnostik und funktionierenden interdisziplinären Netzwerken.
Frage: Um Klarheit über die Versorgungssituation in Deutschland zu erhalten, haben Sie jetzt eine Umfrage zum Thema Mastozytose gestartet. Was ist die Zielsetzung und wie können die Ergebnisse in die Versorgung von an Mastozytose erkrankten Menschen einfließen?
FS: Die Umfrage „MAMAS-Derm“ soll die Versorgungssituation von Patientinnen und Patienten mit Mastozytose aus dermatologischer Sicht erstmals systematisch erfassen. Wir möchten herausfinden, wo Lücken bestehen – etwa in der Diagnosestellung, Kommunikation mit anderen Fachdisziplinen oder der Therapieplanung. Diese Daten sind notwendig, um konkrete Maßnahmen zur Verbesserung der Versorgung zu entwickeln, etwa durch gezielte Fortbildungen oder die Etablierung von Netzwerken.
Frage: An wen innerhalb der Kollegenschaft richtet sich die Umfrage und wie umfangreich ist sie?
FS: Die Umfrage richtet sich an Dermatolog:innen – unabhängig davon, ob sie in Klinik oder Praxis tätig sind. Sie ist bewusst kompakt gehalten, umfasst etwa zehn Fragen und dauert nur wenige Minuten. Die Teilnahme ist anonym. Wir hoffen auf eine breite Beteiligung, um ein möglichst realistisches Bild der Versorgungslage in Deutschland zu erhalten.
Vielen Dank für das Gespräch
Zur Umfrage: „Herausforderungen für Dermatolog:innen beim Management der Mastozytose: MAMAS-DERM“.
Infos zur Umfrage: Die Umfrage läuft vom 15. Mai 2025 bis zum 31. Mai 2025.
Zu beantworten sind insgesamt 14 Fragen, die Beantwortung dauert etwa 5 Minuten
Die Teilnahme erfolgt anonym.
Die Ergebnisse werden voraussichtlich im Herbst 2025 im Journal der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft (JDDG) veröffentlicht.
Jetzt bei der Umfrage mitmachen: https://redcap.charite.de/survey/surveys/?s=TC4YY7XR9FJKK8HT
Weitere Informationen:
Kompetenznetzwerk Mastozytose e. V. https://mastozytose.net/
Interdisziplinäres Mastozytose Centrum https://imcc.charite.de/
Mastozytose-Sprechstunden https://mastozytose.net/zentren-und-kontakte/
Patientenorganisationen:
Mastozytose Selbsthilfe Netzwerk e.V. https://mastozytose-info.de/
Mastozytose e. V. https://www.mastozytose.de/
Zur Person:
Priv.-Doz. Dr. med. Frank Siebenhaar ist Facharzt für Dermatologie und Allergologie, Oberarzt und Leiter der Hochschulambulanz am Institut für Allergieforschung, Charité – Universitätsmedizin Berlin, Hindenburgdamm 30, 12203 Berlin.

