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Karl Herxheimer – Geheimrat mit dem gelben Stern

Der namenlose, zur Nummer erniedrigte, am 6.12.1942 im Konzentrationslager
Theresienstadt verstorbene Häftling erhält an seinem 70. Todestag seinen Namen
zurück.

Auf dem Grabstein seiner 1928 verstorbenen Ehefrau Olga auf dem Jüdischen Friedhof in Frankfurt/Main wurde der Schriftzug eingemeißelt:


Prof. Dr. Karl Herxheimer
26.6.1861 Wiesbaden – 6.12.1942 KZ Theresienstadt
Gründungsdirektor und 1. Lehrstuhlinhaber der Universitäts-Hautklinik in Frankfurt am Main


Mit einer feierlichen Steinsetzung gedachte die Deutsche Dermatologische Gesellschaft am 6. Dezember 2012 auf dem Jüdischen Friedhof seiner. Die Tragik des Lebens von Karl Herxheimer verdichtete sein Schüler und Nachfolger Oscar Gans in folgender Weise: „Der Königlich Preußische Geheime Medizinalrat, der Mitbegründer der Universität Frankfurt am Main, von 1894–1930 der Direktor der Städtischen bzw. der Universitätsklinik für Haut und Geschlechtskrankheiten Frankfurt a. M., der erste Inhaber der ordentlichen Professur für dieses Fach in der Medizinischen Fakultät dieser Universität von der Gründung im Jahre 1914 bis zur Emeritierung im Jahr 1930, der Träger des gelben Judensterns, der Ghetto-Jude in Frankfurt a. M. und der namenlose KZ-Häftling im Konzentrationslager Theresienstadt“ [1].

Herkunft

Die um die Mitte des 19. Jahrhunderts geborene, aus dem Judentum stammende Generation erlebte in den 70er Jahren die weitgehende Emanzipation. Diese Biografien sind durch das Bemühen gekennzeichnet, durch hohes Engagement in Wissenschaft und Kultur breite Akzeptanz in der Gesellschaft zu finden. Karl Herxheimers Vater Hermann war Kaufmann, der die finanziellen Grundlagen schuf, so dass mehrere der aus zwei Ehen hervorgegangenen elf Kinder studieren konnten und in verschiedenen Bereichen bedeutende Positionen erreichten. Die akademische Herkunft ist vom Miteinander von Forschung und Klinik gekennzeichnet. Die Schulung für die experimentelle Dermatologie, speziell in der Dermatohistologie, erhielt er bei dem aus Schlesien stammenden, als Pathologe in Frankfurt am Senckenbergischen Institut arbeitenden Carl Weigert.Weigert stellte die Verbindung zu seinem Cousin Paul Ehrlich, dem Begründer der Chemotherapie her, wodurch Herxheimer zu den ersten Klinikern gehörte, die das 1910 eingeführte Salvarsan klinisch anwenden konnten. Herxheimer gehört zu der großen Gruppe der Schüler vonAlbert Neisser in Breslau, aus dessen Klinik 35 Direktoren von Universitäts- und Städtischen Hautkliniken hervorgingen. Neisser, Weigert, Ehrlich und Herxheimer belegen mit ihren Forschungsergebnissen pars pro toto die Befruchtung und Belebung der deutschen Wissenschaft dieser Zeit durch Vertreter des emanzipierten Judentums.

Einsatz für die Dermatologie

Die Familie Herxheimer, die Dermatologie und die Stadt Frankfurt sind eine untrennbare Einheit. Der bei Ferdinand von Hebra in Wien ausgebildete Salomon Herxheimer schuf mit seiner 1876 gegründeten Klinik und Poliklinik den Grundstock für die Dermatologie in Frankfurt. Karl Herxheimer arbeitete einige Jahre in der Poliklinik seines 20 Jahre älteren Bruders Salomon, bis er 1894 Leiter der Hautabteilung im 1884 gegründeten Städtischen Krankenhaus Frankfurt-Sachsenhausen wurde. Die Hautklinik wurde in mehreren Bauabschnitten erweitert, so dass sie zusammenhängend aus drei Gebäuden bestand. Mit 350 Betten war sie um 1920 nach Köln die zweitgrößte deutsche Hautklinik. Patientenbetreuung, Ausbildung und Forschung waren mustergültig vereint. Anfangs unter schlichten, später unter komfortablen Bedingungen erarbeitete Herxheimer wichtige Beiträge für die Dermatologie. Sein Name ist bis in die Gegenwart mit der Akrodermatitis chronica atrophicans, heute als Borreliose erkannt, und der Herxheimer-Jarisch Reaktion verbunden. Die bei seinem Lehrer Weigert erlernten Färbetechniken in der Dermatohistologie erbrachten neue Erkenntnisse über das elastische Fasersystem und weitere histologische Einzelheiten. Die Dermatotherapie bereicherte er durch eine Vielzahl neu eingeführter Substanzen: Teerpräparate wie Carboneol und Carboterpin sowie Psorigallol zur Behandlung der Schuppenflechte. Bei der Einführung des 1910 entdeckten Salvarsan war es in Frankfurt naheliegend, dass Paul Ehrlich den am gleichen Ort arbeitenden Karl Herxheimer als einen der Ersten zur klinischen Anwendung der neuen Substanz aufforderte, der sehr bald von erstaunlichen Heilungsergebnissen berichten konnte. Zum Andenken an das neue Heilmittel wurde eine Salvarsanampulle an der Wand des Hörsaals angebracht. Paul Ehrlich selbst wurde von den Assistenten der Herxheimerschen Klinik zum „Geheimen Salvarsanitätsrat“ ernannt. Die Anerkennungen seiner Leistungen erfolgten stufenweise. Obwohl nicht habilitiert, erhielt er 1907 in Anerkennung seiner wissenschaftlichen Verdienste den Professorentitel, 1914 mit Universitätsgründung das Ordinariat und 1917 mit 56 Jahren die krönende Ernennung zum Geheimen Medizinalrat. Obwohl er 1926 das Emeritierungsalter erreicht hatte, wurde sein Direktorat wegen seiner hohen Reputation bis 1930 verlängert, bis er die Klinik seinem Schüler Oscar Gans übergab.

Der Netzwerker

Das neu entstehende Spezialgebiet der Dermato-Venerologie musste seine Position im sich erweiternden Fächerkanon behaupten und ausbauen. Karl Herxheimer förderte die wissenschaftliche Zusammenarbeit unter den Dermatologen und mit anderen Fachrichtungen. Zusätzlich baute er die Kontakte zur Industrie aus, um die Therapie zu erweitern. Herxheimer bereicherte die Tagungen der 1889 gegründeten Deutschen Dermatologischen Gesellschaft durch Vorträge und Diskussionen, so dass er es erreichte, dass nach den Kongressen in den universitären Zentren Prag, Berlin, Breslau und anderen Frankfurt die erste Stadt war, in der 1908 eine städtische Hautklinik mit der Ausrichtung einer DDG-Tagung betraut wurde (Abbildung 1). Die im gleichen Jahr mit einem weiteren Neubau erweiterte Hautklinik bildete das Zentrum des glänzenden Kongresses. Paul Ehrlich, der in diesem Jahr den Nobelpreis erhalten sollte, berichtete von den ersten Erfahrungen mit dem Vorläufer des Salvarsans, der Paraaminophenylarsinsäure, die er aus dem Atoxyl entwickelt hatte. Zur „Bedeutung der Vererbung für die Haut und ihre Erkrankungen“ sprach der Stuttgarter Friedrich Hammer. Der Direktor der Freiburger Universitäts-Hautklinik, Eduard Jacobi, beschrieb erstmals das klinische Bild der später nach ihm benannten Poikilodermie. Als neues Forum für  Wissensvermittlung, wissenschaftlichen Austausch und persönliche Kommunikation gründete Karl Herxheimer 1895 die Südwestdeutsche Dermatologen Vereinigung. Er dominierte als primus inter pares mit gleichermaßen engagierten Kollegen. Carl Touton war Assistent bei den Koryphäen seiner Zeit gewesen, bei Moriz Kaposi in Wien und Albert Neisser in Breslau. Als Badearzt in Wiesbaden hatte er sich zu einer Berühmtheit entwickelt, die Patienten aus ganz Europa konsultierten. Der wenige Jahre jüngere Friedrich Hammer arbeitete als Chefarzt am Katharinen-Hospital in Stuttgart und beschäftigte sich speziell mit der Erblehre in der Dermatologie. Er war eng mit dem gleichaltrigen Karl Herxheimer befreundet. Herxheimer war als Initiator der Vereinigung der Vorsitzende dieser Gesellschaft, von 1895 an, bis er das Amt 1933 an seinen Nachfolger Oscar Gans übergab. Die Bedeutung für die regionale Fortbildung sehen wir aus den Tagungsorten, die sich außer Frankfurt von Bonn über Mainz, Würzburg, Stuttgart, München bis nach Freiburg erstreckten. Die Bedeutung eines Hochschullehrers zeigt sich in der Anziehungskraft seiner Klinik und der Vermittlung der Assistenten durch die Verbindungen eines Klinikchefs in ihre späteren Positionen, sowohl in die Niederlassung als auch in Leitungspositionen. Die Forschungen gehen davon aus, dass nahezu 120 Dermatologen in Herxheimers Klinik ausgebildet worden sind (Abbildung 2). Einige der bekanntesten Schüler sollen hervorgehoben werden: Willi Engelhardt – Klinikdirektor in Tübingen, Edmund Hofmann – Klinikdirektor in Kassel, Hans Hübner – Klinikdirektor in Wuppertal-Elberfeld, Franz Herrmann – nach Emigration über London nach New York ab 1961 Klinikdirektor in Frankfurt, Ernst Nathan – Klinikdirektor in Nürnberg, Alfred Stühmer – Klinikdirektor in Münster und Freiburg, Friedrich Schmidt-LaBaume – Klinikdirektor in Mannheim. Die Liste ließe sich fortsetzen. Henry G. Richter-Hallgarten hat 2011 in diesem Journal die Schüler Herxheimers aufgeführt, die Opfer der verbrecherischen NS-Politik geworden sind [2]. Ein weiterer Aspekt der Netzwerkbildung Herxheimers ist die Zusammenarbeit mit der Arzneimittelindustrie. Anregung zur Forschung, experimentelle Arbeiten in der Industrie und klinische Erprobung folgten aufeinander. Herxheimers Zusammenarbeit mit dem Apotheker Eduard Fresenius, der in seiner Hirsch Apotheke auf der Zeil in Frankfurt neue Substanzen entwickelte, führte zur Synthese von neuen Teerpräparaten, die der Kliniker nach Erprobung mit speziellen Hinweisen zur Therapie empfahl. Aus dem 1912 gegründeten Produktionsbetrieb entwickelte sich der heute weltweit agierende Gesundheitskonzern Fresenius. So ging Herxheimer den gleichen Weg wie Paul Gerson Unna in Hamburg mit dem Apotheker Paul Carl Beiersdorf zur Herstellung neuer Externa und Pflaster oder wie der Dresdner Eugen Galewsky mit der Firma Bayer bei der Entwicklung des Cignolins. Ein wichtiges Beispiel für die Zusammenarbeit verschiedener Persönlichkeiten für ein gemeinsames Ziel ist Herxheimers Engagement für die Gründung einer Universität in Frankfurt. Der Oberbürgermeister der Stadt, Franz Adickes, stimulierte einen Kreis von Gleichgesinnten, diese Idee umzusetzen. Unterstützung kam von mehreren Persönlichkeiten. Der Metallfabrikant Wilhelm Merton, die Bankierstochter und Stifterin Hannah Louise Rothschild, der Buchhändler Carl Christian Jüngels, die Bankierswitwe Franziska Speyer und eben auch Karl Herxheimer förderten mit beträchtlichen finanziellen Mitteln und ihren persönlichen Kontakten die Gründung der Universität im Jahre 1914. Die modern ausgestattete Universität erreichte schnell eine hohe wissenschaftliche Reputation, wodurch sie mit Berlin und Breslau konkurrieren konnte. Herxheimers Klinik erhielt den Status einer Universitätsklinik, er selbst wurde zum ordentlichen Professor berufen. Damit war er nach Neisser-Breslau und Lesser-Berlin der dritte Ordinarius für Haut- und Geschlechtskrankheiten in Deutschland.

„Ich bin allein auf weiter Flur“

Die schrittweise Verschärfung und Radikalisierung der antisemitischen Gesetze führte im Leben Herxheimers Stufe um Stufe zu Demütigung und Isolation bis zum Tod: Entzug der Lehrbefugnis, Verbot des Betretens der von ihm gegründeten Hautklinik und der Universität, Entzug der Approbation, Tragen des gelben Judensterns, Umsiedlung in ein Judenhaus. Freunde und Verwandte rieten Herxheimer mehrfach, das Land zu verlassen. Er hätte sich nach seinem Schweizer Landhaus in Gunten am Thunersee zurückziehen können. Er lehnte alle Angebote ab, da er die Sturmzeichen nicht anerkennen wollte. Seinem Nachfolger Oscar Gans, der 1933 sofort entlassen worden war, sagte er bei einem Besuch 1936 „Ich kann Frankfurt nicht verlassen, und ich will es auf meine alten Tage nicht verlassen. Mich kennt hier ja jedermann [...]“[1]. Die Kontakte und Besuche von Schülern und Freunden wurden von Jahr zu Jahr weniger. Der 80. Geburtstag am 26. Juni 1941 war für Karl Herxheimer der letzte Höhepunkt seines Lebens, denn viele Freunde und Schüler besaßen die Zivilcourage, ihren verehrten Meister zu besuchen und ihm ihre Glückwünsche zu übermitteln. In einem Brief an seinen Schüler, den Direktor der Hautklinik Kassel, Edmund Hofmann, vom 19. Juli 1941 berichtete Herxheimer, dass die Packer seine Bibliothek für die Kollegen Erich Hoffmann in Bonn und Friedrich Schmidt-La Baume in Mannheim gepackt hätten. Anschließend resümiert er seine Situation mit der dramatischen Erkenntnis „[...] Ich bin allein auf weiter Flur: Allen Gewalten – Zum Trotz sich erhalten!“. [3] Herxheimer, der „[...] sein Schicksal bis zur Neige[...]“ [3] tragen wollte, wurde in Frankfurt am 28. August 1942 durch die Gestapo verhaftet und am 1. September mit weiteren jüdischen Mitbürgern, unter denen sich noch zwei Ärzte befanden, nach dem Konzentrationslager Theresienstadt deportiert, wo er am 6. Dezember 1942 verstarb.

Bildnachweis
Abbildung 1: Karl Herxheimer in Königsberg 1929 auf der DDG-Tagung (1. Reihe Mitte), Bildarchiv DDG., Kgl. Hofphotograf Kühlewindt, Königsberg.
Abbildung 2: Herxheimer mit Assistenten der Klinik 1926; erste Reihe v. l. n. r.: Hans Pohlmann, Karl Herxheimer, Edmund Hofmann, Herkunft: Erdmuthe Loß, Kassel.

Korrespondenzanschrift
Prof. Dr. Albrecht Scholz
Mendelssohnallee 30
D-01309 Dresden
E-Mail: albrecht.scholz@yahoo.de

Literatur
1 Gans O. In memoriam Zum 100. Geburtstag von Karl Herxheimer 26. Juni 1861, 6. Dezember 1942 in Theresienstadt. Hautarzt 1961; 12: 241–242.
2 Richter-Hallgarten H G. Zum 150. Geburtstag von Karl Herxheimer am 26. Juni 2011. J Dtsch Dermatol Ges 2011; 9: 869–870.
3 Brief von Karl Herxheimer an Edmund Hofmann vom 19.7.1941, Archiv Erdmuthe Loss, Kassel.

Erstellt am
07.12.2012
Autor
Prof. Dr. Albrecht Scholz
Themen
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