EU-Richtlinie sieht Verschreibungspflicht für antimikrobielle Wirkstoffe vor
EU-Richtlinie sieht Verschreibungspflicht für antimikrobielle Wirkstoffe vor
Kampf gegen Resistenzen könnte zu Überlastung in Arztpraxen führen
Aktuelle Pläne der Europäischen Union sehen vor, die Verschreibungspflicht bei antimikrobiellen Substanzen auszuweiten. Neben Antibiotika sollen auch Virostatika und Antimykotika nur noch auf Rezept erhältlich sein. Die „ungewollten“ Effekte eines Wegfallens der Selbstmedikation unkomplizierter Infektionen wie beispielsweise die Behandlung von Haut-, Schleimhaut- oder Nagelpilzinfektionen mit Antimykotika oder topischem Aciclovir reichen von Verschlimmerung der Infektionen, über Chronifizierung oder Superinfektionen bis hin zu möglicherweise übervollen Wartezimmern und einer Überlastung der Ärztinnen und Ärzte.
Bereits im Jahr 2019 erklärte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) antimikrobielle Resistenzen (AMR) zu einer der zehn größten globalen Bedrohungen für die öffentliche Gesundheit. Die Europäische Kommission ging 2022 gemeinsam mit den Mitgliedstaaten noch weiter und deklarierte AMR zu den drei größten Gesundheitsgefahren. Schätzungen gehen davon aus, dass weltweit betrachtet eine weitere Zunahme antimikrobieller Resistenzen zu 10 Millionen Todesfällen pro Jahr und zu einem Rückgang des weltweiten Bruttoinlandsprodukts um 2 bis 3,5% führen könnten.
In dem Richtlinienentwurf hatte die Europäische Kommission Ende April zahlreiche Neuregelungen u.a. bezüglich der Zulassung von Arzneimitteln gegen seltene Erkrankungen und für Maßnahmen zur Bekämpfung von AMR entwickelt. Im Juni wurde der Vorschlag der Kommission zur Intensivierung der EU-Maßnahmen zur Bekämpfung antimikrobieller Resistenzen vom Rat der Europäischen Union angenommen.
- Ein Hauptziel dieser Empfehlung ist es, eine umsichtige Verwendung antimikrobieller Mittel zu fördern.
- Bis 2030 soll der Gesamtverbrauch von Antibiotika beim Menschen (Referenzjahr ist 2019) um 20% gesenkt werden.
- Die Inzidenz von Blutstrominfektionen soll in Bezug auf die drei wichtigsten antibiotikaresistenten Bakterienstämme ebenfalls gesenkt werden: um 15% in Bezug auf Methicillin-resistente Staphylococcus aureus (MRSA), um 10% in Bezug auf Cephalosporin-resistente Escherichia coli der dritten Generation, um 5% in Bezug auf Carbapenem-resistente Klebsiella pneumoniae
In dem Richtlinienentwurf werden jedoch auch Maßnahmen formuliert, die durchaus zu kritisieren sind. Darunter der Vorschlag, antimikrobielle Wirkstoffe nur noch auf Rezept abzugeben. Was in Bezug auf Antibiotika sinnvoll erscheint, wird bei antiviralen Mittel wie beispielsweise bei Cremes gegen Lippenherpes oder Fußpilz fragwürdig.
Die Liste der bislang rezeptfreien Arzneimittel, die dann nicht mehr „over the counter“ erhältlich wären, ist lang. Dazu könnten antiseptische Mundspüllösungen auf Chlorhexidinbasis und Desinfektionsmittel für die Haut ebenso zählen wie Antimykotika als Nagellack gegen Nagelpilz, Clotrimazol gegen Scheidenpilz oder Virostatika gegen Lippenherpes, etc.
Kritiker einer Verschreibungspflicht für antimikrobielle Wirkstoffe weisen darauf hin, dass es durch eine nicht rechtzeitige Behandlung von Erkrankungen wie zum Beispiel Fußpilz zu einer größeren Ausbreitung derselben kommen könnte. Die bisherige Praxis, die Arzneimittel zur Behandlung von Pilzinfektionen oder Virusinfektionen in den genannten Anwendungsgebieten den Patientinnen und Patientinnen zur Selbstmedikation zur Verfügung zu stellen, hätte in Europa das Problem von Resistenzen nicht erhöht. Sollten die Betroffenen wegen solcher Anlässe aber ärztliche Einrichtungen aufsuchen müssen, sei absehbar, dass es zu einer Überlastung der Praxen kommen werde.
EU-Richtlinien gelten im Gegensatz zu EU-Verordnungen nicht unmittelbar, sie müssen erst von den Mitgliedstaaten in nationales Recht umgewandelt werden.
Weitere Informationen:
Empfehlung des Rates zur Intensivierung der EU-Maßnahmen zur Bekämpfung antimikrobieller Resistenzen im Rahmen des Konzepts „Eine Gesundheit“ vom 13. Juni 2023:
https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32023H0622(01)
Entschließung des Europäischen Parlaments vom 1. Juni 2023:
https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/TA-9-2023-0220_DE.html
https://health.ec.europa.eu/antimicrobial-resistance/eu-action-antimicrobial-resistance_de